Die COVID‑19‑Pandemie stellt Bevölkerung und Wirtschaft vor unbekannte Herausforderungen. Behörden ergreifen weitreichende und bislang unbekannte Maßnahmen: Schließung von Schulen, Universitäten und öffentlichen Einrichtungen, Untersagung des Betriebs von Gaststätten und von Veranstaltungen, Ausgangssperren.
Auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind von den immer massiveren Einschränkungen betroffen. Bislang stellen sich vor allem folgende rechtliche Fragen:
Erkrankt ein Arbeitnehmer an COVID‑19, so hat er nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz einen Anspruch auf Fortzahlung seiner Vergütung von bis zu sechs Wochen. Dieser Anspruch ist dann ausgeschlossen, wenn den Arbeitnehmer ein Verschulden an seiner Erkrankung trifft. Ein starkes Indiz hierfür kann sein, dass der Arbeitnehmer gegen Reisewarnungen des Auswärtigen Amts verstoßen hat.
Der Arbeitnehmer kann jedoch nicht eigenmächtig von der Arbeit fernbleiben, sondern muss seinen Anzeige- und Nachweispflichten nachkommen. Er hat die Erkrankungen und deren voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber anzuzeigen und spätestens am vierten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Die Ausnahmeregelung, wonach Ärzte aufgrund der Pandemie vorübergehend nach telefonischer Anamnese eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für bis zu sieben Tage ausstellen und dem Patienten per Post zusenden können, wurde zuletzt durch Beschluss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 14.5.2020 bis einschließlich 31.5.2020 verlängert. Patienten mit leichten Beschwerden der oberen Atemwege müssen daher ab dem 1.6.2020 wieder einen Arzt aufsuchen, wenn sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung benötigen.
Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber eine ärztliche Diagnose offenzulegen. Den Arbeitnehmer treffen im Krankheitsfall nur die oben genannten Anzeige- und Nachweispflichten hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit. Es steht Arbeitnehmern jedoch frei und kann aufgrund der besonderen Lage auch geboten sein, den Arbeitgeber über eine COVID‑19‑Erkrankung oder einen Infektionsverdacht aufzuklären.
Zudem unterliegt die Erkrankung und bereits der Verdacht einer Erkrankung an COVID‑19 der behördlichen Meldepflicht nach §§ 6, 7 Infektionsschutzgesetz. Wird die Erkrankung diagnostiziert, so müssen Ärzte unverzüglich unter Angabe der persönlichen Daten des Erkrankten die Diagnose dem zuständigen Gesundheitsamt melden. Dieses kann Maßnahmen zur Bekämpfung der Erkrankung, auch im Betrieb des Arbeitgebers, einleiten.
Arbeitnehmer können nicht eigenmächtig von der Arbeit fernbleiben oder von Zuhause aus arbeiten.
Selbst in Regionen, in denen umfassende Ausgangssperren verhängt wurden, ist der Weg zur Arbeit ein guter Grund, der das Verlassen der Wohnung erlaubt. Arbeitgebern ist in diesen Fällen zu raten, ihren Arbeitnehmern Arbeitsortbescheinigungen für den Fall von Kontrollen auszustellen.
Sind die Arbeitnehmer nicht tatsächlich an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung im Betrieb gehindert, etwa weil sie erkrankt sind, müssen sie ihren vertraglichen Pflichten nachkommen.
Vielfach sind jedoch auch Arbeitgeber an flexiblen Lösungen interessiert, sodass hier eine offene Diskussion von Vorteil ist.
Arbeitnehmer können jedoch dann ihrem Arbeitsplatz fernbleiben, wenn dies aufgrund der Schließung von Schulen oder Kindergärten zur Betreuung ihrer Kinder erforderlich ist. Voraussetzung ist, dass ihre Kinder nicht anderweitig betreut werden können.
In diesen Fällen verlieren Arbeitnehmer ihren Vergütungsanspruch nach § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht, wenn die Verhinderung eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ andauert. Dies sind nach allgemeiner Auffassung bis zu drei Tage. Dauert die Verhinderung aufgrund der Schließungen der Schulen und Kindergärten längere Zeit an, entfällt der Vergütungsanspruch jedoch vollständig. Arbeitgeber sind in diesen Fällen nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat bereits Gesetze angekündigt, die die Lohnfortzahlung für Eltern sichern sollen, die aufgrund fehlender Kinderbetreuung für Kinder unter zwölf Jahren nicht arbeiten können.
Auch hinsichtlich der Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten, kommt es zunächst darauf an, ob Arbeitgeber und Arbeitnehmer bereits eine wirksame Regelung, etwa im Arbeitsvertrag, getroffen haben. Denn es besteht kein grundsätzlicher Anspruch auf eine Erbringung der Arbeitsleistung im Home Office.
Sollte noch keine wirksame Regelung bestehen, sind sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zurzeit regelmäßig an einvernehmlichen Lösungen interessiert. Bei entsprechenden Vereinbarungen sind diverse arbeitsrechtliche Aspekte, wie beispielsweise Arbeitszeitregelungen oder Aufwendungsersatz, aber auch und datenschutzrechtliche Gesichtspunkte zu beachten.
Den Arbeitnehmer trifft nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht auf Erbringung der Arbeitsleistung. Hieraus ergeben sich die Verpflichtungen des Arbeitgebers, einen geeigneten Arbeitsplatz bereitzustellen und dem Arbeitnehmer vertragsgerechte Aufgaben zuzuweisen, der so genannte Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Diese Pflicht wird durch eine rechtmäßige Freistellung aufgehoben, durch eine rechtswidrige Freistellung verletzt. Freistellungen können auf verschiedenen Rechtsgrundlagen beruhen. So können Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Vereinbarung treffen oder getroffen haben, arbeitsvertragliche Regelungen Freistellungsmöglichkeiten eröffnen oder in Ausnahmefällen sogar einseitige Freistellungen durch den Arbeitgeber erklärt werden.
Das am 13.3.2020 beschlossene Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelung für das Kurzarbeitergeld ist seit 14.3.2020 in Kraft. Damit wird der Bundesregierung eine Verordnungsermächtigung eingeräumt, wodurch diese erleichterte Zugangsvoraussetzungen verordnen kann. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung mit einer Verordnung über die Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung – KugV) vom 25.3.2020 Gebrauch gemacht und am 27.3.2020 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I, S. 595) veröffentlicht. Nach der beschlossenen Verordnung können die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit mit Rückwirkung ab dem 1.3.2020 in Anspruch genommen werden.
Sodann muss geprüft werden, für welche Branchen/Betriebe die Erleichterungen gelten.
Zunächst müssen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Beantragung von Kurzarbeitergeld vorliegen. Hierzu zählt unter anderem, dass ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt. Dieser wird verneint, wenn der Arbeitsausfall als vermeidbar gilt, etwa wenn er durch die Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub ganz oder teilweise verhindert werden kann, soweit vorrangige Urlaubswünsche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Urlaubsgewährung nicht entgegenstehen (§ 96 Abs. 4 Nr. 2 SGB III). Das Vorliegen negativer Arbeitszeitkonten soll dem hingegen nicht entgegenstehen.
Darüber hinaus müssen auch die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame Anordnung von Kurzarbeit gegeben sein: Kurzarbeit kann nicht wirksam auf der Grundlage des Direktionsrechts vom Arbeitgeber angeordnet werden, sondern bedarf einer wirksamen Vereinbarung. Hierbei kann es sich um einen Tarifvertag, eine Betriebsvereinbarung oder die Änderung der Arbeitsverträge der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer handeln. Kurzarbeitsklauseln unterliegen der AGB‑Kontrolle. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt hierzu noch nicht vor.
Die Verordnung, die bereits vor ihrer Verabschiedung durch die Bundesregierung zu zahlreichen Vereinbarungen über Kurzarbeit in Betrieben geführt hat, wird in erster Linie als Erleichterung für die Beantragung von Kurzarbeitergeld (Kug) wahrgenommen:
Personal- und Geschäftsleiter, die bislang von der Einführung von Kurzarbeit abgesehen haben, werden noch sorgfältiger anhand der tatsächlichen Beschäftigungssituation zu prüfen haben, ob die abgesenkten Voraussetzungen für das Kug in den einzelnen Betriebsabteilungen gegeben sind. Denn das Unterlassen der Einführung von Kurzarbeit zur Absenkung von Lohn- und Gehaltskosten kann pflichtwidrig sein und zu einer Schadensersatzverpflichtung der Verantwortlichen gegenüber der Gesellschaft führen. Der Bundesgerichtshof hat 2002 entschieden, dass ein Geschäftsführer bei einer deutlichen Unterbeschäftigung der Arbeitnehmer infolge Auftragsmangels zumindest den Versuch unternehmen muss, eine Kostenentlastung durch Kurzarbeit nach den gesetzlichen Möglichkeiten zu erreichen, ebenso wie er auch sonst bei Vertragsverhandlungen mit einem Geschäftspartner der Gesellschaft versuchen muss, deren Interessen zur Geltung zu bringen. Unterlässt er dies ohne überzeugenden Grund, liegt bereits darin eine Pflichtwidrigkeit (BGH vom 4.11.2002 – II ZR 224/00, DStR 2003, 124). Im gerichtlichen Verfahren hat der Geschäftsleiter darzulegen und zu beweisen, warum es pflichtgemäß war, bei einer vorübergehenden Unterbeschäftigung auf die Einführung von Kurzarbeit und die Beantragung von Kug zu verzichten.
Der Arbeitgeber darf betriebsärztliche Untersuchungen anordnen, wenn hieran ein begründetes Interesse des Arbeitgebers besteht, das Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers hat. Der jeweilige Einzelfall ist zu untersuchen, wobei insbesondere Ansteckungsrisiken einzubeziehen sind.
Nach einem Auslandsaufenthalt darf der Arbeitgeber sich bei dem Arbeitnehmer erkundigen, ob er sich in einem Coronavirus‑Risikogebiet aufgehalten hat. Denn den Arbeitgeber trifft die Fürsorgepflicht gegenüber allen seinen Arbeitnehmern, zu der es gehört, erkennbare Risiken durch Vorsichtsmaßnahmen zu verhindern. Hierbei ist darauf zu achten, dass der Arbeitnehmer keine allgemeine Auskunft über seinen Aufenthaltsort geben muss. Vielmehr besteht ein Anspruch auf eine sogenannte Negativauskunft, also dass er sich in keinem Risikogebiet aufgehalten hat.
Axel Groeger
Partner
Rechtsanwalt
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Ira Gallasch
Senior Associate
Rechtsanwältin
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