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Kirchenmitgliedschaft als rechtmäßiges Einstellungskriterium

Je größer die Bedeutung der zu besetzenden Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen oder außen ist, desto mehr Gewicht besitzt dieser Umstand und ein daraus abgeleitetes Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft. Je weniger Relevanz die jeweilige Position für die Verwirklichung des religiösen Ethos hat, desto eher wird dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben sein.

Verfassungsrechtlich und unionsrechtlich ist zwischen einer unzulässigen theologischen Bewertung des religiösen Ethos durch die staatlichen Gerichte einerseits und der rechtsstaatlichen Beschränkung der Durchsetzung des religiösen Selbstbestimmungsrechts im Bereich des staatlichen (Gleichbehandlungs‑)Rechts andererseits zu unterscheiden.

‑‑BVerfG, Beschl. v. 29.9.2025 – 2 BvR 934/19<br/>BAG – 8 AZR 501/14<br/>GG Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 140 i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV; AGG § 9 Abs. 1; Richtlinie 2000/78/​EG Art. 4 Abs. 2

Das Problem

Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) hatte in einer Ausschreibung für eine auf zwei Jahre befristete Referentenstelle im Projekt „Parallelberichterstattung zur UN‑​Antirassismuskonvention“ als berufliche Anforderung eine Mitgliedschaft in einer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) angehörenden Kirche sowie die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag vorausgesetzt. Das BAG (Urt. v. 25.10.2018 – 8 AZR 501/14 – Egenberger, ArbRB 2019, 100 [Groeger]) war im Anschluss an eine Entscheidung des EuGH (Urt. v. 17.4.2018 – C‑414/16, ArbRB 2018, 131 [Groeger]) der Ansicht, dass der Sachvortrag des EWDE nicht genügte, um feststellen zu können, dass diese berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Evangelischen Kirche eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung war und verurteilte das EWDE zur Zahlung einer Entschädigung.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BVerfG hebt das Urteil des BAG auf, weil es das EWDE in seinem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV verletzt und weist die Sache an das BAG zurück.

Zwar habe sich das BAG bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG, die der Abwägung der Interessen des Beschäftigten mit denen des kirchlichen Arbeitgebers dienen, zu Recht an Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/​EG und der Konkretisierung dieser Bestimmung im Urt. des EuGH vom 17.4.2018 orientiert. Es habe jedoch weder die grundrechtlichen Gestaltungsspielräume, die den Mitgliedstaaten in Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/​EG in der Auslegung durch den EuGH belassen werden, noch die weiterhin geltenden – in Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben modifizierten – Grundsätze der vom BVerfG entwickelten Zweistufenprüfung hinreichend berücksichtigt. Daher habe das <B>BAG</B> sein eigenes Verständnis einer glaubwürdigen Vertretung des kirchlichen Ethos an die Stelle des Verständnisses des EWDE gesetzt. Dadurch habe das BAG die nach der Rechtsprechung des EuGH zu beachtenden Vorgaben zulasten des religiösen Selbstbestimmungsrechts des Beschwerdeführers überspannt.

Konsequenzen für die Praxis

Ausgangspunkt bildet die übereinstimmende Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG, dass das Ethos der Religionsgemeinschaft als solches einer Überprüfung grundsätzlich unzugänglich ist. Es obliegt der Religionsgemeinschaft, anhand ihrer Glaubenssätze, Lehre und Tradition darzulegen, weshalb eine bestimmte Tätigkeit die Kirchenmitgliedschaft erfordert. Der Staat ist aufgrund seiner Verpflichtung zu religiös‑​weltanschaulicher Neutralität nicht dazu in der Lage, das Ethos der Religionsgemeinschaft zu untersuchen und hieraus Schlussfolgerungen – etwa hinsichtlich der Bedeutung einer Angelegenheit für die Verwirklichung dieses Ethos – zu ziehen. Das Vorbringen der Religionsgemeinschaft ist in einem ersten Schritt lediglich auf Plausibilität, das heißt auf Nachvollziehbarkeit, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung, die die jeweils betroffene Stelle in den Blick nimmt. Hierin liegt jedoch keine theologische Bewertung des von der Religionsgemeinschaft vorgetragenen Anliegens. Die Anforderungen an die Darlegung richten sich danach, wie offenkundig das Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft für die konkret zu besetzende Stelle ist. Die Anforderungen an die Darlegung steigen, je weiter sich die Aufgaben der ausgeschriebenen Stelle von dem, was das religiöse Profil und die religiöse Identitätsbildung der betroffenen Religionsgemeinschaft nach innen und außen bestimmt, entfernen.

Das BVerfG hat in die Ausgestaltung der Abwägung zwischen religiösem Selbstbestimmungsrecht und Arbeitnehmerrechten auf der zweiten Stufe bislang weitgehend offengelassen. Vorgegeben hat es lediglich, dass die Herstellung praktischer Konkordanz durch eine wechselwirkende Betrachtung der widerstreitenden Interessen erzielt werden soll. Dieser Prüfungsrahmen erfährt durch die durch den EuGH definierten Merkmale „wesentlich“, „rechtmäßig“, „gerechtfertigt“ und „verhältnismäßig“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Gleichbehandlungsrichtlinie, die sich inhaltlich mit den Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach deutscher Grundrechtsdogmatik überschneiden, eine stärkere Konturierung. Die in Rede stehende berufliche Anforderung muss danach im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit für die Wahrung des religiösen Selbstverständnisses geeignet sein, darf also keine sachfremden Zwecke verfolgen. Sie muss erforderlich sein, was bedeutet, dass sie aufgrund der Bedeutung der beruflichen Tätigkeit für die Verkündigung oder die Wahrung der religiösen Selbstbestimmung notwendig erscheinen muss und nicht über das zur Erreichung dieses Ziels gebotene Maß hinausgehen darf. Schließlich muss die Anforderung auch angemessen im engeren Sinne sein, das heißt, das Gewicht der in ihr zum Ausdruck kommenden religiösen Belange muss die kollidierenden Verfassungsrechtsgüter – betroffen ist hier der Schutz vor Diskriminierung – in der Sache überwiegen. Die Integration der unionsrechtlichen Anforderungen in die überkommene Zweistufenprüfung auf der Schrankenebene lässt es weiterhin zu, dem religiösen Selbstverständnis aufgrund seiner Nähe zum vorbehaltlos gewährten Recht auf korporative Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) ein besonderes Gewicht beizumessen. Dies steht in Einklang mit der Offenheit des Unionsrechts für die unterschiedlichen grundrechtlichen Wertungen der Mitgliedstaaten. Je größer die Bedeutung der konkreten Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen (etwa Nähe zum Verkündigungsauftrag, Vermittlung religiöser Inhalte, Seelsorge) und/​oder außen (etwa Außendarstellung und glaubwürdige Repräsentation, Leitungsfunktion, Mission) ist, desto mehr Gewicht besitzt dieser Umstand und das daraus von der Kirche abgeleitete Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft. Geht es um die Besetzung derartiger, für die religiöse Identität bedeutsamer Positionen im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses, dürfte sich die Forderung der Kirche nach der Kirchenmitgliedschaft gegenüber gegenläufigen Belangen der betroffenen Arbeitnehmer (hier dem Schutz vor Diskriminierung wegen der Religion) regelmäßig durchsetzen. Je weniger Relevanz die Stelle jedoch für die Wahrung beziehungsweise die Verwirklichung des religiösen Ethos hat, desto eher wird dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben sein.

Beraterhinweis

Das BVerfG prüft ausführlich, ob die Entscheidung des EuGH ein ausbrechender Rechtsakt (ultra vires) ist und verneint dies. Zwar rücke das Abwägungsergebnis des EuGH den Diskriminierungsschutz stärker in den Fokus als das Recht der Kirchen auf Autonomie. Der Rückschluss, dass der EuGH Art. 17 AEUV in der Abwägung unberücksichtigt gelassen habe, sei jedoch angesichts der Urteilsgründe fernliegend. Insgesamt schütze das Unionsrecht die religiöse Selbstbestimmung zwar mit anderer Akzentuierung im Sinne einer gehaltvolleren Prüfung und Abwägung der betroffenen Rechtspositionen als die bisherige deutsche Rechtsprechung; im Ergebnis ergebe sich aber ein in der Sache strukturell vergleichbarer Schutz.

Axel Groeger

Axel Groeger
Partner

Rechtsanwalt
(groeger@redeker.de)

Hans-Peter Hoh

Hans‑​Peter Hoh
Partner

Rechtsanwalt
(hoh@redeker.de)

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