Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist angespannt – selbst vormals stabile Unternehmen sehen sich wachsenden Unsicherheiten und Risiken gegenüber. Effektive Frühwarnsysteme sind für Unternehmensleitungen von zentraler Bedeutung, um wirtschaftliche Risiken frühzeitig zu erkennen, potenziell negative Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb zu minimieren und nicht zuletzt haftungsrechtlichen Konsequenzen vorzubeugen.
Der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. („IDW“) hat hierzu unlängst einen Entwurf für einen IDW‑Standard zur Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements gemäß § 1 StaRUG veröffentlicht („IDW ES 16“ Stand: 03.02.2025).
Der Entwurf richtet sich insbesondere an geschäftsführende Personen haftungsbeschränkter Rechtsträger sowie deren Berater und soll als Leitlinie zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen des § 1 StaRUG dienen.
§ 1 StaRUG verpflichtet die Geschäftsleitung haftungsbeschränkter Unternehmen unabhängig von der Rechtsform dazu, kontinuierlich Entwicklungen zu überwachen, die den Fortbestand der juristischen Person gefährden könnten (sog. „Krisenfrüherkennungspflicht“). Darüber hinaus sind bei erkennbaren Risiken geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen sowie eine Berichterstattung an Überwachungsorgane sicherzustellen (sog. „Krisenmanagement“). Die Vorschrift definiert hierbei Mindeststandards, wobei weitergehende gesetzliche Regelungen – etwa nach § 91 Abs. 2 AktG für Aktiengesellschaften oder spezialgesetzliche Vorgaben des VAG bzw. KWG für Versicherer und Banken – weiterhin uneingeschränkt gelten (§ 1 Abs. 3 StaRUG).
Die IDW‑Standards dienen in der Beratungspraxis als etablierte Orientierungshilfe und geben Empfehlungen für ein anerkanntermaßen sachgerechtes Vorgehen („best practice“).
Stellungnahmen zum IDW ES 16 Entwurf konnten bis zum 12.05.2025 eingereicht werden, so dass nun in näherer Zukunft, voraussichtlich innerhalb der kommenden 12 bis 18 Monate, mit einer endgültigen Version des IDW (E)S 16 Standards zu rechnen ist.
Der IDW ES 16 stellt eine belastbare Unternehmensplanung, insbesondere zur Abbildung der Liquiditätsentwicklung, als zentrales Element eines wirksamen Krisenfrüherkennungssystems heraus. Eine solche Planung ist für alle Unternehmen – unabhängig von Rechtsform, Größe oder Krisenstadium – eine grundlegende Sorgfaltspflicht der Geschäftsleitung.
Daneben verlangt der Standard einen systematischen, dokumentierten Prozess der Krisenfrüherkennung, der in den Planungsprozess eingebunden ist. Erkennt das System fortbestandsgefährdende Entwicklungen, muss unverzüglich ein angemessenes Krisenmanagement eingeleitet werden.
Der IDW ES 16 enthält eine ausführliche Darstellung der einzelnen Elemente, die ein wirksames System zur Krisenfrüherkennung ausmachen.
Die Anforderungen an die Planung richten sich nach der wirtschaftlichen Lage: Liegen stabile Rahmenbedingungen („Schönwetterkriterien“) vor, können Umfang und Tiefe der Planung geringer ausfallen, sofern keine gesetzlichen Vorgaben entgegenstehen. Die der Planung zugrunde liegenden Annahmen müssen nachvollziehbar, konsistent und widerspruchsfrei sein. Mit zunehmender Krisenintensität sinkt der Ermessensspielraum der Geschäftsleitung, während die Anforderungen an die Entscheidungsfindung steigen. Zur Nachweisbarkeit und Haftungsvermeidung empfiehlt der IDW ES 16 eine sorgfältige Dokumentation von Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement.
Der Planungshorizont muss laut IDW ES 16 mindestens 12 Monate umfassen; für eine frühzeitige Krisenerkennung sind 24 Monate empfehlenswert. Bei speziellen Gegebenheiten, wie langlaufenden Projekten oder branchenspezifischen Anforderungen, kann die Planung auch längerfristig ausgelegt werden.
Daneben wird im IDW ES 16 auf Aspekte der Risikokultur, der Unternehmensorganisation, der Risikoidentifikation, Risikobewertung, Risikosteuerung, Risikokommunikation, Risikoüberwachung und auf Verbesserungsmaßnahmen eingegangen.
Im Anschluss an die Krisenfrüherkennung behandelt der Standard das Krisenmanagement, das Maßnahmen zur Wiederherstellung eines tragfähigen Geschäftsmodells beschreibt. Die Darstellung ist kompakt und verweist auf weitere IDW‑Standards.
Alle haftungsbeschränkten Unternehmensträger sind verpflichtet, ein Krisenfrüherkennungssystem einzurichten und relevante Risiken kontinuierlich zu überwachen, unabhängig von Größe oder Komplexität. Unterschiede bestehen lediglich in der Ausgestaltung der Maßnahmen: Kleinere Unternehmen können laut IDW ES 16 einfachere Planungs- und Kontrollinstrumente verwenden, sofern diese wirksam sind.
Auch wenn der IDW ES 16 derzeit noch als Entwurf vorliegt, sind inhaltlich wesentliche Änderungen – wie bei früheren Entwurfsfassungen des IDW – nicht zu erwarten. Die zentralen Aussagen des Standards können daher bereits jetzt als Orientierung für die Praxis und Beratung herangezogen werden.
Kritisch zu bewerten ist jedoch, dass der Entwurf mitunter wenige konkrete Vorgaben zur Ausgestaltung und zum Umfang der Unternehmensplanung enthält. Insbesondere fehlen aussagekräftige Kennzahlen und Bewertungskriterien, die als Basis für ein systematisches Früherkennungssystem dienen könnten – ein Aspekt, der in den zum IDW ES 16 eingereichten Stellungnahmen mehrfach beanstandet wurde.
Deutlich absehbar ist allerdings bereits jetzt: Die Verpflichtung zur Unternehmensplanung gewinnt weiter an Bedeutung – und zwar unabhängig von Rechtsform und Unternehmensgröße.
Angesichts zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheiten sollten Unternehmen ihre bestehenden Früherkennungs- und Krisenmanagementsysteme einer kritischen Überprüfung unterziehen – nicht zuletzt zur Vermeidung persönlicher Haftungsrisiken der Geschäftsleiter. Dabei sollten auch die Empfehlungen des (künftigen) IDW ES 16 Berücksichtigung finden.
Matthias Flotmann
Counsel
Rechtsanwalt
(flotmann@redeker.de)
Dr. Cathrin Brünkmans
Counsel
Rechtsanwältin
(bruenkmans@redeker.de)
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