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Vorsicht bei Pflichtteilsvermeidung durch Rechtswahl!

– BGH, Urt. v. 29.6.2022 – Az. IV ZR 110/21 –

Mit der erhöhten Mobilität innerhalb der europäischen Union und der Zunahme internationaler Ehen wächst auch die Anzahl der Erblasser, die in einem anderen als ihrem Heimatland versterben. Mit dem Inkrafttreten der europäischen Erbrechtverordnung (EUErbVO) richtet sich das anwendbare Recht für die Rechtsnachfolge von Todes wegen grundsätzlich nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt. Ein Deutscher, der dauerhaft ins Ausland verzieht und dort verstirbt wird im Grundsatz also nach dieser (fremden) Rechtsordnung beerbt.

Gem. Art. 22 der EUErbVO kann eine Person für ihre Nachfolge allerdings auch das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört. Dadurch lässt sich die Nachfolge mitunter gezielt zu steuern, indem bestimmte Rechtsinstitute, die nur einer der beiden Rechtsordnungen bekannt sind, bewusst gewählt oder aber bewusst gemieden werden. Nicht selten besteht der Wunsch, gerade Pflichtteilsansprüche zu umgehen: Nach deutschem Recht steht grundsätzlich etwa enterbten Abkömmlingen ein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte der gesetzlichen Erbquote zu. Andere Rechtsordnungen – namentlich die englische – kennen ein solches Recht nicht.

Die Rechtsprechung begegnet dem kritisch. In einer aktuellen Entscheidung haben OLG Köln und nachfolgend der BGH entschieden, dass die Wahl des englischen Rechts im konkreten Fall gegen wesentliche Prinzipien des deutschen Rechts und damit gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstößt, weil der Pflichtteil eines Sohns umgangen wurde. Der bedarfsunabhängige Pflichtteilsanspruch von Abkömmlingen sei als verfassungsmäßig garantierte Mindestteilhabe ein Kernelement des deutschen Erbrechts (so bereits das BVerfG, Beschl. v. 19.04.2005, 1 BvR 1644/00). Für die Gerichte war mitentscheidend, dass der Erblasser seit rund 50 Jahren in Deutschland lebte und seit drei Jahrzehnten keinen erkennbaren Bezug mehr zu England hatte. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Wahl englischen Rechts als „missbräuchlich“ dar. Die Entscheidung des Erblassers für das englische Erbrecht wurde dadurch zwar nicht unwirksam, aber insofern eingeschränkt, als dem enterbten Abkömmling Pflichtteilsansprüche nach deutschem Recht (die das englische Recht nicht kennt) zugesprochen wurden.

Dass eine solche Einschränkung der europarechtlichen Möglichkeit der Rechtswahl durch nationale Gerichte stattfinden konnte, liegt daran, dass ausländisches Recht dann, wenn es von deutschen Gerichten angewandt wird, nicht uneingeschränkte Anwendung findet. Vielmehr ist es auf seine Vereinbarkeit mit den Grundlagen der nationalen Rechtsordnung (sog. ordre public) zu überprüfen. Dieser Vorbehalt wird auch von der EUErbVO anerkannt (Art. 35).

Bemerkenswert ist, dass die Gewichtung des Pflichtteilsrechts in verschiedenen Staaten durchaus unterschiedlich ausfallen kann. So hatte etwa der OGH Wien 2021 einen vergleichbaren Fall zu entscheiden, gelangte dort aber zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen den ordre public nicht vorliege (2 Ob 214/20i). Begründet wurde dies vor allem damit, dass in Österreich (anders als in Deutschland) eine verfassungsrechtliche Garantie des Erb- und folglich des Pflichtteilsrechts fehle, aber auch damit, dass der Fall nur einen schwachen Inlandsbezug aufweise. Das Gericht hat ausdrücklich offengelassen, ob es ihn bei starkem Inlandsbezug (wie er im Fall des BGH vorlag) anders entschieden hätte.

Das wirft umgekehrt die Frage auf, ob der BGH bei einem schwächeren Inlandsbezug zu einer abweichenden Einschätzung gelangt wäre. Offen ist ferner die Frage, ob der deutsche ordre public auch eine bedarfsunabhängige Mindestteilhabe andere Pflichtteilsberechtigter – etwa der Eltern – gebietet. Insofern ist bei einer Verallgemeinerung seiner Entscheidung Vorsicht geboten. Vielmehr zeigt die Entscheidung die Unwägbarkeiten auf, die mit einer internationalen Nachfolgeplanung verbunden sind. Hier ist fachmännische Beratung dringend zu empfehlen.

Philipp Georg Kampmann

Dr. Philipp Georg Kampmann
Senior Associate

Rechtsanwalt
(kampmann@redeker.de)

Vorsicht vor der Verjährung des Pflichtteils bei einem Streit um die Erbenstellung!

– OLG München, Endurt. v. 22.11.2021 – Az. 33 U 2768/21 –

In unserer alternden Gesellschaft stellt sich immer häufiger die Frage, ob ein Testament unbeeinflusst und (noch) bei klarem Geist abgefasst wurde. Abkömmlinge, die sich „auf den letzten Metern“ etwa zugunsten eines neuen Lebenspartners enterbt finden, stehen bei Zweifeln regelmäßig vor der auch persönlich nicht einfachen Entscheidung, ob sie die Wirksamkeit des Testaments angreifen wollen, um auf diese Weise ein Erbrecht zu erstreiten, oder ob sie sich mit dem Pflichtteil „begnügen“.

Bis zur endgültigen Klärung der Erbenstellung in einem gerichtlichen Verfahren können Jahre vergehen, insbesondere wenn die Testierfähigkeit der Erblasserin bzw. des Erblassers in Zweifel steht. Der zeitliche Aufwand ist wirtschaftlich und persönlich belastend, muss – wie eine aktuelle Entscheidung des OLG München nochmals verdeutlicht – aber auch rechtlich berücksichtigt werden: Mit der Erbrechtsreform von 2010 hat der Gesetzgeber den Pflichtteil grundsätzlich der regelmäßigen, dreijährigen Verjährungsfrist unterworfen. Wer eine Erbenstellung über mehrere Instanzen verfolgt, muss daher darauf achten, dass ihm dabei der Pflichtteil als „Rückfallposition“ nicht verjährt und er letztlich womöglich ganz leer ausgeht.

Freilich verlangt auch das Gesetz nicht, dass man einen nur möglicherweise bestehenden Anspruch – der Pflichtteilsanspruch und die Erbenstellung schließen sich prinzipiell aus – übereilt verfolgt, nur um die Verjährung zu verhindern. Nach den allgemeinen Vorschriften beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, und der Anspruchsinhaber davon Kenntnis hat (oder sie ohne grobe Fahrlässigkeit haben müsste). Kurz: Der Anspruchsinhaber muss wissen, was er von wem verlangen kann, ehe er eine Verjährung zu befürchten hat. Für den Pflichtteilsberechtigten bedeutet das Kenntnis 1) des Erbfalls, 2) seiner eigenen Enterbung und 3) der Person des Erben, gegen den der Anspruch besteht.

Das klingt simpel, ist aber gerade im Erbrecht nicht immer einfach zu beurteilen. Über die Erbenstellung kann in unterschiedlichen Verfahren (Erbscheins- und Erbenfeststellungsverfahren) gestritten werden, die beide über mehrere Instanzen geführt werden können. Wann gebietet es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt also, die pflichtteilsrechtliche Rückfallposition zu sichern? Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 26.01.2018, Az. 7 U 75/17) und aktuell auch das OLG München, Endurt. v. 22.11.2021 – Az. 33 U 2768/21) haben sich mit dieser Frage befasst.

Das OLG München entschied, dass es an der Kenntnis der Enterbung fehle, wenn der Betroffene infolge eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums von der Unwirksamkeit der letztwilligen Verfügung ausgehe. Frei von grober Fahrlässigkeit, so das Gericht weiter, sei diese Annahme im konkreten Fall nur bis zur ersten umfangreich begründeten Entscheidung des Nachlassgerichts im Erbscheinverfahren gewesen. Sodann habe der Betroffene mit seiner Enterbung ernsthaft rechnen müssen und der Lauf der Verjährungsfrist daher begonnen. Das Verfahren dauerte weitere Jahre; der Betroffene hätte fristgerecht verjährungsrechtliche Vorkehrungen zur Sicherung seines Pflichtteils ergreifen müssen, etwa eine Klage erheben müssen, um die Verjährung zu unterbrechen.

Das OLG Düsseldorf stellte nicht auf die Entscheidung eines Gerichts ab, sondern auf den Abschluss der Beweisaufnahme. Mit diesem Zeitpunkt habe der Berechtigte die wesentlichen Informationen, die er zur Beurteilung der Rechtslage benötige, somit beginne die Verjährung zu laufen.

Beide Entscheidungen sind nur bedingt verallgemeinerungsfähig: Wie umfangreich muss die Begründung des Gerichts ausfallen, um den Lauf der Verjährungsfrist zu begründen? Wann liegen tatsächlich alle (genug) Beweise vor und ist eine Beweisaufnahme abgeschlossen? Die Frage, wann die Verjährungsfrist in diesen Konstellationen beginnt und wann sie dementsprechend endet, bleibt heikel. Aus Vorsichtsgründen sollte gegebenenfalls rechtzeitig hilfsweise auch der Pflichtteil neben der Erbenstellung eingeklagt werden, um ein Verjährungsrisiko auszuschließen.

Philipp Georg Kampmann

Dr. Philipp Georg Kampmann
Senior Associate

Rechtsanwalt
(kampmann@redeker.de)

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