‑- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.01.2025, Verg 27/24
Rechtsprechung zu den Inhouse‑Vorschriften des § 108 GWB gibt es trotz des mittlerweile fast 10‑jährigen Bestehens der Norm sowie der hohen Praxisrelevanz vergleichsweise wenig. Nun hatte das OLG Düsseldorf Gelegenheit, sich zu Fragen der gemeinsame Kontrolle nach § 108 Abs. 5 GWB sowie zum Begriff des „Betrauens“ aus § 108 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 2 GWB zu positionieren. Für mehr Klarheit sorgt die Entscheidung zu diesen Aspekten der Inhouse‑Vergabe indes leider nicht.
Die Antragsgegnerin veranlasste eine freiwillige ex‑ante Bekanntmachung nach § 135 Abs. 3 GWB, um die Inhouse‑Vergabe einer Rahmenvereinbarung zur Übernahme und Durchführung der Projektträgerschaft für Aufgaben der Ressortforschung des Bundesministeriums für Gesundheit an einen Projektträger als unselbstständige Organisationseinheit einer gemeinnützigen Forschungsgesellschaft anzukündigen.
Gesellschafter der Forschungsgesellschaft sind zu 90 % der Bund und zu 10 % das Land Nordrhein‑Westfalen. Organe der Forschungsgesellschaft sind die Geschäftsführung, der Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung. In den Aufsichtsrat werden nicht nur Mitglieder durch die Gesellschafter entsandt und abberufen.
Die Forschungsgesellschaft finanziert sich überwiegend über institutionelle Zuwendungen und projektbezogene Fördermittel, die sie im Rahmen von Zuwendungsbescheiden von ihren Gesellschaftern erhält.
Die Antragstellerin bezweifelte, dass die Voraussetzung der Inhouse‑Vergabe vorlagen und zog vor die Vergabekammer. Diese gab ihr in erster Instanz Recht.
Das OLG Düsseldorf hatte sich in zweiter Instanz mit dem Kontroll- und Wesentlichkeitskriterium im Rahmen der Inhouse‑Vorschriften bei gemeinsamer Kontrolle (§ 108 Abs. 4, 5 GWB) zu befassen. Es sah im Ergebnis das Wesentlichkeitskriterium als nicht erfüllt an.
Der Senat kommt nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Gesellschaftsvertrag der Forschungsgesellschaft zunächst zu dem Ergebnis, dass die Gesellschafter die Voraussetzungen des § 108 Abs. 5 Nr. 2 GWB erfüllen – mithin gemeinsam einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausüben können.
Auch verfolge die Forschungsgesellschaft keine Interessen, die den Interessen der Gesellschafter zuwiderlaufen (§ 108 Abs. 5 Nr. 3 GWB). Die Ausübung einer gemeinsamen Kontrolle bedeute keinen Eingriff in die nach Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Freiheit der Forschung.
Fraglich sei aber, ob das Erfordernis einer gemeinsamen Kontrolle an § 108 Abs. 5 Nr. 1 GWB scheitere, weil dem Aufsichtsrat der Forschungsgesellschaft als beschlussfassendem Organ nicht nur Vertreter der Gesellschafter, sondern weitere stimmberechtigte Personen angehören. Zwar spreche der Wortsinn des Verbs „zusammensetzen“ zunächst dafür, dass die beschlussfassenden Organe ausschließlich mit Vertretern der teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber besetzt sein müssen. In der Rechtsprechung des EuGH, die die Vergaberichtlinie lediglich kodifizieren und präzisieren wollte, finde sich die Forderung nach einer Besetzung der beschlussfassenden Organe ausschließlich mit Vertretern der teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber indes nicht. Es könne daher kein eindeutiges Auslegungsergebnis gefunden werden. Von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV sieht der Senat nur deshalb ab, weil die Frage nicht entscheidungserheblich ist.
Die Voraussetzungen des § 108 Abs. 4 Nr. 2 GWB hält der Senat für nicht erfüllt, weil bei der Bestimmung des prozentualen Anteils von mehr als 80 % der Tätigkeiten der Forschungsgesellschaft nach § 108 Abs. 7 GWB die von den Gesellschaftern zugewandten institutionellen und projektbezogenen Fördermittel unberücksichtigt bleiben müssten.
Dabei hatte sich der Senat mit wohl einer der umstrittensten Fragen im Zusammenhang der Inhouse‑Vorschriften auseinanderzusetzen – mit dem Begriff des „Betrauens“ aus § 108 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 2 GWB. Er stellt zunächst die zwei sich im Wesentlichen gegenüberstehen Ansichten dar:
So umfasse die Betrauung mit der Ausführung von Aufgaben nach der herrschenden Meinung in der Literatur mehr als Tätigkeiten auf der Grundlage von Vergabeentscheidungen des kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers. In Anlehnung an Art. 106 Abs. 2 AEUV könne auch eine Veranlassung zur Ausführung der Aufgabe durch einen Betrauungsakt in anderer Weise ausreichen. Hingegen sei das bloße Eröffnen eines Betätigungsfelds für ein von einem öffentlichen Auftraggeber kontrolliertes Unternehmen durch dessen Gesellschaftszweck nicht ausreichend. Erforderlich sei die aktive Zuordnung der Aufgabe zu dem betreffenden Unternehmen durch einen inhaltlich eindeutigen und festgelegten Akt.
Nach einem Beschluss der Vergabekammer Rheinland v. 06.12.2018, VK 52/17, sollte mit der Vergaberichtlinie keine neue Begrifflichkeit eingeführt werden, die eine inhaltliche Änderung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beinhalten könnte. Zu berücksichtigen seien folglich nur solche Aufgaben, hinsichtlich derer eine Vergabe im Sinne der Terminologie der Carbotermo‑Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vorliege. Es müsse sich also im weiteren Sinne um einen Beschaffungsvorgang handeln, mit dem ein Bedarf des die juristische Person kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers gedeckt werden solle.
Der Vergabesenat des OLG Düsseldorf schließt sich den Auffassungen insoweit an, „als für die Betrauung mit der Ausführung einer Aufgabe im Sinne von § 108 Abs. 4 Nr. 2 GWB erforderlich sei, dass die öffentlichen Auftraggeber der von ihnen kontrollierten juristischen Person eine eigene, bisher in ihren Bereich fallende Aufgabe durch einen erkennbaren und inhaltlich festgelegten Akt zur Ausführung übertragen, ohne dass es hierzu eines Hoheitsakts oder eines Vertragsschlusses bedarf.“
Das OLG Düsseldorf sieht das Wesentlichkeitskriterium im Ergebnis deshalb nicht als erfüllt an, weil die aufgrund der Zuwendungen erfolgten Forschungen jedenfalls keine Tätigkeiten der Forschungsgesellschaft seien, die ihr von ihren Gesellschaftern übertragen worden sind.
Die Entscheidung sorgt leider nicht für mehr Klarheit bei den Voraussetzungen der Inhouse‑Vergabe.
Die Frage, ob die beschlussfassenden Organe einer juristischen Personen nach § 108 Abs. 5 Nr. 1 GWB stets ausschließlich mit Vertretern der kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber besetzt sein müssen, bleibt ungeklärt. Sollte die Frage einmal in einem von einem OLG zu entscheidenden Fall entscheidungserheblich sein, ist nach den Ausführungen des OLG Düsseldorfs hierzu eine Vorlage beim EuGH zu erwarten. Erst dann käme es zu einer Klärung.
Die Ausführungen zum Begriff des „Betrauens“ sorgen ebenfalls nicht für Klarheit – im Gegenteil. Aus dem Beschluss lässt sich nicht eindeutig ableiten, welcher der bestehenden Ansichten sich der Senat eigentlich anschließt (beiden?) und welche konkreten Voraussetzungen an einen Betrauungsakt zu stellen sind.
Sofern der Senat eine Aufgabenübertragung „durch einen erkennbaren und inhaltlich festgelegten Akt […], ohne dass es hierzu eines Hoheitsakts oder eines Vertragsschlusses bedarf“, für erforderlich und ausreichend hält, dürfte das in Richtung der herrschenden Auffassung der Literatur gehen.
Bei der Aufgabenübertragung müsse es sich aber „im weiteren Sinne um eine Vergabe und demzufolge einer damit einhergehenden Erfüllungsverpflichtung“ der damit betrauten juristischen Person des Privatrechts handeln, was eher im Einklang mit der Auffassung der Vergabekammer Rheinland sein dürfte.
Es fragt sich damit, was eine Vergabe mit einer damit einhergehenden Erfüllungsverpflichtung anderes als eine Beauftragung sein kann. Den Ausführungen des Senats nach zu urteilen, fällt hierunter jedenfalls keine Zuwendung, da ein Zuwendungsempfänger regelmäßig keine selbstständig durchsetzbare Verpflichtung eingeht, einen bestimmten Erfolg zu erzielen, sondern die Gelder bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch allenfalls zurückzuzahlen sind.
Lediglich geklärt sein dürfte, dass institutionelle Förderungen bei der Bestimmung des Umsatzes oder anderen tätigkeitsbezogenen Wertes nach § 108 Abs. 7 GWB unberücksichtigt bleiben müssen.
Auftraggeber sollten in Ansehung dieser Entscheidung des OLG Düsseldorfs bestehende Inhouse‑Konstellationen auf den Prüfstand stellen.
Paul Lieber
Senior Associate
Rechtsanwalt
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