Die Leitungsorgane von GmbH und Aktiengesellschaft haften der Gesellschaft für Schäden, die durch die Verletzung der den Unternehmensleitern obliegenden Legalitätspflicht entstehen. Wird gegen die Gesellschaft infolge einer Verletzung der Legalitätspflicht ein Kartellbußgeld verhängt, ist umstritten, ob eine Inanspruchnahme des Leitungsorgans auf Schadensersatz ausgeschlossen ist. Die Regressfähigkeit von derartigen Kartellbußgeldern wurde zuletzt vom OLG Düsseldorf abgelehnt. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat in seinem nunmehr veröffentlichten Beschluss vom 11.02.2025 (Az. KZR 74/23) die Frage der Regressfähigkeit von Kartellbußgeldern dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Kartellsenat des BGH deutete dabei an, dass dieser die Regressfähigkeit grundsätzlich bejaht. Eine endgültige Entscheidung steht jedoch weiterhin aus. Vor einer endgültigen Klärung ist zunächst die Vorabentscheidung durch den EuGH abzuwarten.
Der Beklagte beteiligte sich über einen Zeitraum von Juli 2002 bis Dezember 2015 als Geschäftsführer und Vertreter der klagenden Gesellschaft an einem vom Bundeskartellamt sanktionierten Preiskartell in der Edelstahlbranche. Das Bundeskartellamt verhängte schließlich im Juli 2018 Bußgelder wegen einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit (§ 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV) gegen das ehemalige Organmitglied i. H. v. 126.000,00 EUR und gegen die Gesellschaft i. H. v. 4,1 Mio. EUR. Die Geldbußen hatten einen ausschließlich ahndenden Charakter.
Der Beklagte wurde von den Klägerinnen, zwei konzernverbundenen Unternehmen, wegen seiner Beteiligung an den Kartellverstößen auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Klägerinnen machten u. a. einen Anspruch auf Ersatz des gegen die Gesellschaft verhängten und gezahlten Bußgelds sowie den Ersatz von der Muttergesellschaft entstandener Sachverhaltsaufklärungs- und Rechtsverteidigungskosten i. H. v. 1,144 Mio. EUR geltend. Die Muttergesellschaft hatte zugunsten des Beklagten eine D&O‑Versicherung mit einer Deckungssumme i. H. v. 25 Mio. EUR abgeschlossen, die jedoch weder Schadensersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung der versicherten Person noch gegen sie persönlich verhängte Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen umfasste.
Die Leitungsorgane von Aktiengesellschaft und GmbH haften nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG gegenüber der Gesellschaft für Schäden, die der Gesellschaft durch ein pflichtwidriges Verhalten entstanden sind. Zu den zentralen Pflichten des Leitungsorgans gehört die sog. Legalitätspflicht, d. h. die Pflicht zum rechtstreuen und gesetzeskonformen Verhalten von Leitungsorgan und Gesellschaft. Um potenzielle Schäden in Millionenhöhe abzusichern, deren Realisierbarkeit durch Ansprüche gegen die Leitungsorgane oft fraglich ist, schließen Unternehmen sog. D&O‑Versicherungen als spezielle Vermögensschaden‑Haftpflichtversicherungen ab. D&O‑Versicherungen übernehmen die Haftung für Schäden, die durch Mitglieder des Leitungsorgans verursacht wurden, sofern die vereinbarte Deckungssumme ausreicht und keine Haftungsausschlüsse greifen.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten und bislang höchstrichterlich nicht geklärt, ob eine gegen das Unternehmen verhängte Verbandskartellbuße von der Gesellschaft im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG geltend gemacht werden kann. Dabei steht allein die Ersatzfähigkeit des Ahndungsteils, nicht aber der Abschöpfungsteil des Bußgeldes in Rede. Bei wirtschaftlicher Betrachtung geht es insoweit um die Frage, ob die durch die Verbandskartellbuße eingetretene Vermögensminderung bei der Gesellschaft (endgültig) verbleibt oder durch die Inanspruchnahme des Leitungsorgans bei einer Einstandsverpflichtung der D&O‑Versicherung auf den Versicherer verlagert werden kann.
In Teilen der landes- und oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung wird der über eine Gewinnabschöpfung hinausgehende Ahndungsteil einer Verbandskartellbuße bereits dem Grunde nach nicht für erstattungsfähig angesehen und der Anwendungsbereich von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG im Wege der teleologischen Reduktion eingeschränkt. Andernfalls würde der Sanktionszweck der Verbandsbuße durch eine zivilrechtliche Regressmöglichkeit unterlaufen und das Sanktionssystem des Kartellrechts durch eine Abwälzung der Geldbuße auf das Leitungsorgan entwerten. Dieser Ansicht hat sich das OLG Düsseldorf als Berufungsgericht angeschlossen und darauf abgestellt, dass Sinn und Zweck der Unternehmensgeldbuße darin bestünden, das rechtlich verselbständigte Vermögen der juristischen Person nachhaltig zu treffen. Der Grund für die unter Umständen extreme Höhe einer möglichen Geldbuße liege darin, dem Unternehmen die Vorteile der Kartellzuwiderhandlung zu entziehen. Eine Verlagerung dieser Geldbuße auf das Leitungsorgan bzw. bei Bestehen einer D&O‑Versicherung auf die Versicherung könne nicht gewollt sein.
Nach anderer Ansicht stehen die mit der Verbandssanktion nach § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB verbundenen Zwecke einem Rückgriff nicht entgegen. Die mit dem Bußgeld verfolgten Zwecke des öffentlichen Sanktionsrechts seien mit der Verhängung des Bußgelds gegen das Unternehmen vollständig erfüllt. Die Frage nach der verbandsinternen Zuweisung dieses Vermögensnachteils und der Zulässigkeit des Innenregresses richte sich daher allein nach den zivil- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Die mit der Rückgriffsmöglichkeit bezweckte Verhaltenssteuerung entfiele, wenn das Leitungsorgan nicht damit rechnen müsse, für den Schaden der Gesellschaft infolge des kartellrechtlichen Bußgelds persönlich in Haftung genommen zu werden.
Nach Ansicht des Kartellsenats hängt der Erfolg der Revision von der Auslegung des Unionsrechts ab, so dass das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH eine Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde. Für die Entscheidung der Streitfrage, ob § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG einschränkend auszulegen sind, sei erheblich, ob das Unionsrecht der Anwendung dieser Vorschriften im Zusammenhang mit der Erstattung von Kartellbußgeldern entgegensteht.
Der Kartellsenat hat dennoch eine Position bezogen, da nicht zweifelfrei erscheine, inwieweit die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion erfüllt sind. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der zivilrechtlichen Schadensersatzhaftung von Leitungsorganen aufgrund der nationalen Vorschriften zur kartellbußgeldrechtlichen Verbandssanktion nach § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB begegne Bedenken. Allerdings könnte eine einschränkende Auslegung des nationalen Rechts durch Art. 101 AEUV geboten sein.
Der Beklagte hat nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des OLG Düsseldorf seine (Legalitäts‑)Pflichten aus § 43 Abs. 1 GmbHG vorsätzlich verletzt, indem er sich für die von ihm vertretenen Klägerinnen an einem nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verbotenen Preiskartell beteiligt hat. Das vom Bundeskartellamt gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG, § 81 GWB, Art. 101 AEUV verhängte Bußgeld i. H. v. 4,1 Mio. EUR habe eine Belastung des Vermögens der Gesellschaft zur Folge, die einen Schaden i. S. v. § 43 Abs. 2 GmbHG, § 249 BGB darstellt.
Nach Ansicht des Kartellsenats würden weder der Wortlaut von § 93 AktG, § 43 GmbHG noch andere Vorschriften des nationalen Rechts eine Einschränkung des Anspruchs der Gesellschaft vorsehen, der auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, der der Gesellschaft wegen einer nach § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB gegen sie verhängten Geldbuße entstanden ist. Die Inanspruchnahme des Leitungsorgans wegen entsprechender Bußgelder stünde in Einklang mit dem Sinn und Zweck der Regeln über die Organhaftung, da die § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG neben der vermögensrechtlichen Kompensationsfunktion den Leitungsorganen mit dem drohenden Rückgriff auf deren Vermögen auch verhaltenssteuernde Anreize für eine gesetzestreue Unternehmensführung setzen würden. Eine Schadensersatzpflicht trage damit (auch) zur Verhinderung von Kartellverstößen bei.
Von diesen Grundsätzen ausgehend begegnet auch eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG durch § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB nach Ansicht des Kartellsenats Bedenken.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe dem deutschen Sanktionsrecht bislang kein (allgemeines) Verbot der Abwälzung von Geldstrafen oder Bußgeldern auf Dritte, das auf deren Erstattung gerichtete zivilrechtliche Schadensersatzansprüche ausschließt, entnommen. Zwar sei die konkret verhängte Sanktion nach deren Sinn und Zweck in eigener Person zu tragen und eine Geldstrafe oder ‑buße grundsätzlich aus dem eigenen Vermögen aufzubringen. Nach der Rechtsprechung des BGH sei für die Abwälzung des Bußgelds jedoch maßgeblich, ob sich ein Ersatzanspruch aus den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts ergibt. Ist dies der Fall, könne der Anspruch nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil er inhaltlich auf die Abwälzung einer auferlegten Strafe gerichtet sei.
In Anbetracht dessen sei zweifelhaft, ob der Zweck der kartellrechtlichen Verbandssanktion oder die Gesetzessystematik mit der erforderlichen Deutlichkeit eine planwidrige Regelungslücke erkennen ließe, die eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG erfordert.
Sinn und Zweck der kartellrechtlichen Verbandsanktion gemäß § 30 OWIG, §§ 81 ff. GWB zielten darauf ab, dass die zu verhängenden Geldbußen das Verbandsvermögen derjenigen Wirtschaftsteilnehmer treffen, die von der Ordnungswidrigkeit profitieren, so dass sich kartellrechtliche Zuwiderhandlungen nicht lohnen und die Unternehmen angehalten werden, die zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs errichteten Verbote zu beachten. Die kartellrechtliche Verbandssanktion neutralisiere darüber hinaus in gewissem (pauschalierten) Umfang die mit Kartellverstößen typischerweise einhergehenden, bei der Gesellschaft anfallenden wirtschaftlichen Vorteile.
Danach würden zwar erhebliche Gründe dafür sprechen, dass eine Inanspruchnahme des Leitungsorgans wegen eines gegen die Gesellschaft verhängten Bußgeldes mit den Zielen des kartellrechtlichen Sanktionsrechts in Konflikt gerät. Allerdings bleibe angesichts der gesetzgeberischen Intentionen bezüglich der zivilrechtlichen Organhaft fraglich, ob dem Sanktionsrecht mit der für eine teleologische Reduktion erforderlichen Deutlichkeit ein Regelungsplan entnommen werden kann, der Regressansprüche der Gesellschaft gegen das Leitungsorgan zwingend ausschließt.
Dabei sei auch von Bedeutung, dass derartige Regressansprüche weder die repressiv‑ahndende noch die präventive Funktion der Verbandssanktion generell in Frage stellen würden. Zum einen könne sich die Gesellschaft in Abhängig von der Höhe des Kartellbußgeldes sowie des gegen das Leitungsorgan bestehenden Schuldvorwurfs wegen beschränkter Deckungssummen und Haftungsausschlüssen aus einer D&O‑Versicherung nur teilweise entlasten. Zum anderen würden sich aus der drohenden Inanspruchnahme wichtige Anreize für ein gesetzestreues Verhalten ergeben, da die Leitungsorgane maßgeblichen Einfluss auf die Verhinderung von Kartellverstößen (Compliance) hätten. Die Möglichkeit des Rückgriffs stelle daher ein wichtiges gesellschaftsrechtliches Disziplinierungsinstrument dar.
Nach Ansicht des Kartellsenats könnte allerdings Art. 101 AEUV eine „nicht von vornherein ausgeschlossene“ einschränkende Auslegung des nationalen Rechts erfordern. Das Unionsrecht verhalte sich nicht ausdrücklich zu der Frage, ob eine juristische Person sein Leitungsorgan wegen des durch ein Bußgeld verursachten Schadens zivilrechtlich in Anspruch nehmen kann. Insoweit sei unklar, ob Art. 101 AEUV einem solchen Regressanspruch entgegensteht. Sofern Art. 101 AEUV das durch das nationale Gesellschaftsrecht geprägte Innenverhältnis zwischen dem Unternehmen und seinen Leitungsorganen berührt, könne die danach gebotene Wirksamkeit einer gegen das Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängten Geldbuße beeinträchtigt sein, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch einen vollständigen oder auch nur teilweisen Rückgriff auf das Leitungsorgan nach den Vorschriften der § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG wirtschaftlich entlasten könnte.
Keine generellen Schlussfolgerungen für die Beantwortung der Vorlagefrage dürften sich nach Ansicht des Kartellsenats daraus ableiten lassen, dass für Leitungsorgane die Risiken einer Inanspruchnahme durch den Abschluss einer D&O‑Versicherung zumindest teilweise abgedeckt werden können. Die Eintrittspflicht der Versicherung hänge maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab, u. a. vom Grad des Verschuldens oder dem Umfang des Versicherungsschutzes bei Bußgeldschäden.
Für den Fall, dass Art. 101 AEUV einer Anwendung der nationalen Regelungen für die Organhaftung entgegenstehen sollte, stellt sich die Frage, ob damit auch Ansprüche der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG ausgeschlossen sind, die auf den Ersatz von Sachverhaltsaufklärungs- und Rechtsanwaltskosten, etwa die Rechtsverteidigung im kartellbehördlichen Ermittlungsverfahren, entstanden sind.
Da der Ersatz dieses Schadens die Wirksamkeit des verhängten Bußgelds nicht beeinträchtige, dürfte es nach Ansicht des Kartellsenats an einer Grundlage für die Einschränkung des darauf gerichteten Schadensersatzanspruchs fehlen.
In Abkehr zur bisherigen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung äußert der Kartellsenat des BGH Bedenken gegen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG hinsichtlich des Regresses von Kartellbußgeldern. Die Ausführungen lassen den Schluss zu, dass sich der Kartellsenat im Falle der Vereinbarkeit mit Art. 101 AEUV der in der Literatur zunehmend vertretenen Auffassung anschließen dürfte, wonach eine Regressmöglichkeit zu bejahen ist. Die Vorabentscheidung des EuGH bleibt zunächst abzuwarten, mit der innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre zu rechnen ist.
Dr. Patrick Schäfer
Senior Associate
Rechtsanwalt
(patrick.schaefer@redeker.de)
Hans‑Peter Hoh
Partner
Rechtsanwalt
(hoh@redeker.de)
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