Die aktuelle Lage rund um das Coronavirus (SARS‑CoV‑2) wirft auch im Umwelt- und (Bau )Planungsrecht eine Reihe verfahrensrechtlicher Fragen auf. Vorhabenträgern und öffentlichen Einrichtungen stehen derzeit vielfach nicht die erforderlichen personellen und sachlichen Ressourcen zur Verfügung. Viele Behörden sind für den Publikumsverkehr sogar bis auf Weiteres vollständig geschlossen. Angesetzte Besprechungen, Erörterungstermine etc. werden auf unbestimmte Zeit verschoben. Bereits jetzt zeigt sich daher, dass abgestimmte Zeitpläne nicht eingehalten werden können. Verglichen mit anderen Lebensbereichen sind diese Auswirkungen überschaubar und es besteht die Hoffnung, dass die Verfahren in überschaubarer Zeit wieder in normalen Bahnen verlaufen. Einige Aspekte sollten in der derzeitigen Phase allerdings berücksichtigt werden. Die wichtigsten werden nachfolgend dargestellt.
Behörden sollten in den laufenden Verfahren kontinuierlich mit den Antragstellern in Kontakt bleiben, absehbare Verzögerungen ansprechen und gemeinsam mit den Verfahrensbeteiligten Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Verstärkt sollte auf die in den verschiedenen Fachplanungsgesetzen teils ausdrücklich geregelte, aber auch sonst bestehende Option zurückgegriffen werden, einen Verfahrensmanager zu beauftragen, um eine möglichst zügige Bearbeitung der Verfahren zu gewährleisten.
Sehr erhebliche Verzögerungen können entstehen, wenn naturschutzfachlich begründete Begutachtungszeiträume (Kartierungen etc.) zu beachten sind. Auch verhältnismäßig geringe Verzögerungen können in solchen Fällen zu Zeitverlusten von mindestens einem Jahr führen. Hier empfiehlt sich ebenfalls eine enge Abstimmung mit den Behörden. Vorhabenträger können auch ohne einen vollständigen Scoping‑Termin auf Grundlage guter fachlicher Praxis die erforderlichen Erfassungen vornehmen, um Zeitverluste zu vermeiden. Selbst wenn Nacherfassungen erforderlich werden, sind die Zeiteinbußen deutlich geringer, als wenn die zeitgebundenen Erfassungen vollständig entfallen.
In jedem Fall ist wegen der aktuellen Unwägbarkeiten ein gutes Fristenmanagement unabdingbar. Vielfach sind gesetzliche Fristenregelungen zu beachten, deren Einhaltung für Unternehmen zu einer Herausforderung werden kann. Auch gerichtliche Antrags- und Klagefristen gegen Bescheide, die während der Krise ergehen und mit Widerspruch oder Klage angegriffen werden sollen, bleiben verbindlich. Zu beachten ist in allen umweltrechtlichen Verfahren – einschließlich baurechtlicher Verfahren mit Umweltbezug – die zehnwöchige Frist zur Begründung einer vor den Verwaltungsgerichten eingelegten Klage. Sie kann gerichtlich grundsätzlich nur verlängert werden, wenn die Kläger in dem Verwaltungsverfahren (überhaupt) keine Möglichkeit der Beteiligung hatten.
Da die aktuelle Corona‑Krise in der Bundesrepublik Deutschland beispiellos ist, fehlt es an Rechtsprechung zu vielen sich in diesem Zusammenhang stellenden Rechtsfragen. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit aber schon entschieden, dass bei außergewöhnlichen Umständen, insbesondere in Fällen höherer Gewalt, ein Anspruch auf Nachsicht in Form von Wiedereinsetzung in die versäumte Frist bestehen kann. Einzelne Behörden haben bereits mitgeteilt, dass eine Fristversäumung aufgrund der Corona‑Pandemie als „höhere Gewalt“ gewertet und Nachsicht gewährt werde.
Gleichwohl ist nachdrücklich zu empfehlen, die einschlägigen (gesetzlichen) Fristen trotz der Corona‑Krise strikt einzuhalten und anderenfalls die coronabedingten Umstände, aufgrund derer eine Fristwahrung nicht möglich war, zu dokumentieren. Im Falle eines Fristversäumnisses sind die erforderlichen Handlungen unverzüglich nachzuholen, da sonst auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erschwert wird.
In Zulassungsverfahren mit obligatorischer Öffentlichkeitsbeteiligung, etwa Bauleitplanverfahren, immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren und Planfeststellungsverfahren, bestehen rechtliche Risiken, wenn die Beteiligung nicht ordnungsgemäß stattfinden kann.
Für die Beteiligten muss bei der Auslegung von Planunterlagen ein effektiver und zumutbarer Zugang zu den Unterlagen bestehen. Das ist derzeit angesichts für den Publikumsverkehr geschlossener und allenfalls nach Anmeldung zu betretender Rathäuser und Verwaltungsgebäude nur in erheblich eingeschränktem Maße der Fall. Gleichwohl dürfte es unter den gegebenen Umständen in vielen Fällen möglich bleiben, eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen.
‑ Zwingend zu beachten sind jedenfalls die aus Gründen des Infektionsschutzes getroffenen behördlichen Vorgaben. Es ist insbesondere sicherzustellen, dass die vorgegebenen Mindestabstände eingehalten werden.
‑ Zusätzlich kann es sich empfehlen, den Ort der Einsichtnahme zu separieren. Ggf. kann hierfür auch eine Örtlichkeit außerhalb des Verwaltungsgebäudes gewählt werden, z. B. aktuell ungenutzte Räume der Gemeinde.
‑ Zudem kann eine Terminvergabe mit Voranmeldung in Betracht gezogen werden, um die Zahl der vor Ort Einsicht nehmenden Personen zu steuern und damit den Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Den an der Planung Interessierten kann es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in bestimmten Fällen zumutbar sein, sich zur Einsichtnahme fernmündlich mit einem Ansprechpartner derjenigen Stelle in Verbindung zu setzen, bei der die Entwurfsunterlagen bereit liegen. Bei Großverfahren mit einer hohen Zahl an Personen, die vor Ort Einsicht nehmen wollen, können hier angesichts der strengen Maßstäbe der Rechtsprechung an einen effektiven und zumutbaren Zugang aber zusätzliche Vorkehrungen erforderlich werden.
‑ Jede Einschränkung gegenüber den üblichen Abläufen begründet Risiken für spätere Klageverfahren. Das gilt in besonderem Maße für Bekanntmachungstexte. Soweit sie wegen der besonderen Umstände von den üblichen Vorlagen abweichen, sollten sie zuvor rechtlich sorgfältig geprüft werden.
Bereits nach geltendem Recht müssen Antragsunterlagen zusätzlich im Internet – je nach Vorhaben auf der Internetseite der Gemeinde oder einem Internetportal – veröffentlicht werden. Diese Möglichkeit der Einsichtnahme über das Internet sollte hervorgehoben werden, damit die interessierte Öffentlichkeit hiervon vermehrt Gebrauch macht. Gleichzeitig ist zu beachten, dass der Veröffentlichung im Internet aktuell nur eine ergänzende Funktion zukommt. Sie ersetzt grundsätzlich nicht die erforderliche physische Auslegung.
Offen erscheint weiter, wie gesetzlich vorgesehene Erörterungstermine in naher Zukunft durchgeführt werden können, bei denen regelmäßig mit der Zusammenkunft einer erheblichen Anzahl von Personen zu rechnen ist. Eine rein digitale Durchführung des Termins – etwa in Form eines Streams – ist nach geltender Rechtslage nicht vorgesehen. Soweit die Durchführung eines Erörterungstermins nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, kann und sollte aber bei kleineren Vorhaben in der aktuellen Situation auf die Erörterung verzichtet werden. Soweit der Erörterungstermin obligatorisch ist, sollten bereits jetzt organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, um diesen möglichst zeitnah nachholen zu können (z. B. vorsorglich Anmietung von Lokalitäten für den Herbst mit einem Rücktrittsvorbehalt [„Corona‑Klausel“]). Mittelfristig sollten rein digitale Beteiligungsformen gesetzlich verankert werden, wie sie im Aktienrecht für Hauptversammlungen durch Art. 2 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID‑19‑Pandemie im Zivil‑, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht bereits unter erleichterten Voraussetzungen zugelassen wurden.
Ähnliche Probleme wirft die individuelle Beteiligung der Betroffenen in Fällen der vorzeitigen Besitzeinweisung auf. Das Besitzeinweisungsverfahren soll die zügige Realisierung von wichtigen, der Allgemeinheit dienenden Vorhaben ermöglichen. Kernstück des förmlichen Verfahrens ist die mündliche Verhandlung, auf deren Durchführung die Beteiligten nicht verzichten können. Finden mündliche Verhandlungen aufgrund des Notbetriebs der Behörden aktuell nicht statt, kommen die betroffenen Besitzeinweisungsverfahren daher vollständig zum Erliegen. Da die Verhandlungen allerdings regelmäßig in kleinem Personenkreis stattfinden, könnte ihre Durchführung bzw. Nachholung eventuell bereits zeitnah wieder möglich sein.
Gleichwohl sollte erwogen werden, die einschlägigen Fachgesetze dahingehend zu ändern, dass die Durchführung der mündlichen Verhandlung ins Ermessen der Enteignungsbehörde gestellt wird. Das verwaltungsrechtliche Erfordernis, die Betroffenen vor Erlass des Besitzeinweisungsbeschlusses anzuhören, setzt nicht zwingend eine mündliche Verhandlung voraus. Im Regelfall wird sich die Durchführung einer solchen zwar als zweckmäßig erweisen, um die Sach- und Rechtslage umfassend zu erörtern und auf eine gütliche Einigung der Beteiligten hinzuwirken. In Ausnahmesituationen wie der vorliegenden könnte die Enteignungsbehörde – dem Sinn und Zweck des Eilverfahrens entsprechend – bei einer entsprechenden Gesetzesänderung aber von der Durchführung der mündlichen Verhandlung absehen und über die Besitzeinweisung auf Grundlage schriftlicher oder elektronischer Stellungnahmen entscheiden.
Eine frühzeitige Abstimmung von Genehmigungsbehörden und Vorhabenträger sollte auch erfolgen, wenn eine befristet erteilte umweltrechtliche Genehmigung demnächst ausläuft.
Eine schlichte Verlängerung befristeter Zulassungen ohne inhaltliche Prüfung ist grundsätzlich nicht zulässig. Vielmehr ist nach den gesetzlichen Regelungen (etwa des Bundes‑Immissionsschutzgesetzes oder des Wasserhaushaltsgesetzes) für die Verlängerung wie bei der ursprünglichen Zulassung ein Genehmigungsverfahren durchzuführen. Die erforderlichen Verfahrensschritte und die gebotene Prüftiefe können grundsätzlich nicht reduziert werden; nur vereinzelt und in eng begrenzten Ausnahmefällen ist landes- und bundesrechtlich ein vereinfachtes Verlängerungsverfahren vorgesehen. Jedenfalls für UVP‑pflichtige Vorhaben stößt eine schlichte Verlängerung befristeter Erlaubnisse auch an unionsrechtliche Grenzen.
Nur notfalls können Genehmigungsbehörden aber erwägen, die Fortführung während laufender, coronabedingt verzögerter Genehmigungsverfahren für eine angemessene Übergangszeit aktiv zu dulden. Dies gilt insbesondere für Vorhaben, bei denen mit der Fortführung einer wasserrechtlich zugelassenen Benutzung oder eines immissionsschutzrechtlich genehmigten Betriebs keine zusätzlichen erheblichen nachteiligen oder andere erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen verbunden sind.
Je nach weiterem Verlauf der Krise könnte es erforderlich werden, dass gesetzliche Sonderregelungen getroffen werden, die für einen Übergangszeitraum eine vereinfachte Verlängerung befristeter Zulassungen ermöglichen.
Schließlich sind mit verzögerten Zulassungsentscheidungen auch amtshaftungsrechtliche Risiken verbunden. Dem sollte aus Behördensicht frühzeitig vorgebeugt werden.
Insbesondere bei Belastungskontingenten (Lärm, Luftschadstoffe usw.) kann der Zulassungszeitpunkt eines Vorhabens von entscheidender Bedeutung sein, da nach einer Zulassung das betreffende Kontingent für nachfolgende Vorhaben erschöpft sein kann. Ähnliche Fragestellungen ergeben sich, wenn ein Vorhaben noch vor einer anstehenden nachteiligen Rechtsänderung (Erlass eines Bebauungsplans, Gesetzesänderungen) zugelassen werden soll. Eine überlange Verfahrensdauer kann hier erhebliche Auswirkungen für den Vorhabenträger haben.
Indes setzt der Anspruch aus Amtshaftung stets eine schuldhafte Amtspflichtverletzung voraus. Dem Vorwurf können Behörden wirksam vorbeugen, indem sie sich eng mit dem Antragsteller abstimmen. Je eher mögliche Verzögerungen im Einzelfall offengelegt werden und je vorausschauender die Suche nach einer pragmatischen Lösung erfolgt, umso geringer sind die Haftungsrisiken. Im Grundsatz gilt unverändert: Eine unvermeidbare, d. h. insbesondere nicht auf organisatorische Defizite zurückzuführende Verzögerung begründet auch keine Haftungsansprüche. Auch verschuldensunabhängige Staatshaftungsansprüche werden in der Regel ausgeschlossen sein. Gleichwohl sollten Vorhabenträger verzögerungsbedingte Einbußen vorsorglich dokumentieren, zumal zukünftig die Möglichkeit bestehen könnte, unter erleichterten Voraussetzungen Beihilfe- oder spezielle Entschädigungsansprüche geltend zu machen.
Auch die Tätigkeit vieler Verwaltungsgerichte ist derzeit auf einen Notbetrieb beschränkt, bei dem nur noch unaufschiebbare Eilsachen bearbeitet werden. Die Prozessordnung stellt allerdings verschiedene Instrumente bereit, die in der derzeitigen Sondersituation genutzt werden können. So kann es sich anbieten, dass die Parteien auf eine mündliche Verhandlung verzichten und so eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ermöglichen. Ferner können die Gerichte von der selten genutzten Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch machen, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Prozessparteien sollten eine solche Handhabung in geeigneten Fällen auch aktiv anregen.
Dr. Frank Fellenberg, LL.M. (Cambridge)
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