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Deckung durch eine D&O‑​Versicherung bei Verstoß gegen Kardinalpflichten der Geschäftsleiter?

In zuletzt gleich drei Entscheidungen des OLG Frankfurt a. M. aus dem Jahr 2025 ging es um Verstöße von Geschäftsleitern gegen sog. “Kardinalpflichten”, die zum Ausschluss des Versicherungsschutzes der D&O‑​Versicherung führten. Namentlich ging es dabei um die praktisch sehr relevante Fallgestaltung der Haftung von Geschäftsleitern für nach Insolvenzreife geleistete Zahlungen.

D&O‑​Versicherungen dienen dem Schutz von Organmitgliedern juristischer Personen gegen eine persönliche Inanspruchnahme. Der Versicherungsschutz ist jedoch regelmäßig durch Ausschlusstatbestände begrenzt, insbesondere in Fällen wissentlicher Pflichtverletzung oder vorsätzlicher Schadensverursachung.

Das OLG Frankfurt a. M. stellte in drei aktuellen Entscheidungen fest, dass verschiedene Geschäftsleiterpflichten, insbesondere die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsleiter, Kardinalpflichten darstellen. Zudem konkretisierte das OLG Frankfurt a. M., unter welchen Voraussetzungen die Verletzung einer Kardinalpflicht den Vorwurf einer wissentlichen Pflichtverletzung indiziert und damit zum Ausschluss der Einstandspflicht des D&O‑​Versicherers führen kann. Es vertrat dabei für die auch praktisch bedeutsame Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife eine „versicherungsfreundliche“ Linie.

I. Sachverhalte

‑- Beschluss vom 16. Januar 2025 – 7 W 20/24:

Der Insolvenzverwalter einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt; “UG”) begehrte Prozesskostenhilfe (“PKH”) für eine Klage auf Feststellung von Versicherungsschutz gegen die D&O‑​Versicherung der Gesellschaft. Hintergrund war eine unterbliebene Insolvenzantragstellung durch den Geschäftsführer trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit. Der Geschäftsführer der UG war formal bestellt, faktisch jedoch inaktiv (sog. Strohmann‑​Geschäftsführer). Der Versicherer verweigerte den Versicherungsschutz, da nach Darstellung des Versicherers wissentlich gegen das gesetzliche Zahlungsverbot bei Insolvenzreife (§ 64 S. 1 GmbHG a. F., heute: § 15b InsO) verstoßen worden sei. Die Versicherungsbedingungen statuierten einen Leistungsausschluss für wissentliche Pflichtverstöße.

Das OLG Frankfurt a. M. entschied zugunsten des Versicherers und lehnte den PKH‑​Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten im Klageverfahren ab. Die Klage sei materiell‑​rechtlich nicht erfolgversprechend, da ein Verstoß des Geschäftsführers gegen § 64 S. 1 GmbHG a. F. festgestellt werden konnte. Die Pflicht, bei Zahlungsunfähigkeit rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, sei eine Kardinalpflicht des Geschäftsführers. Die Verletzung dieser Kardinalpflicht sei ein Indiz dafür, dass die Pflicht wissentlich verletzt worden sei. Der Vortrag des Insolvenzverwalter sei nicht geeignet gewesen, diese Indizwirkung zu entkräften.

‑- Urteil vom 5. März 2025 – 7 U 134/23 (nicht rechtkräftig):

Dem Urteil vom März 2025 lag ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde. Der Insolvenzverwalter einer GmbH nahm die D&O‑​Versicherung aus Versicherungsleistungen in Anspruch. Hintergrund war eine Verurteilung des Geschäftsführers der GmbH nach § 64 S. 1 GmbHG a. F. wegen masseschmälernder Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife, die der Insolvenzverwalter gepfändet hatte.

In erster Instanz hatte das Landgericht Wiesbaden den Versicherer zur Leistung verurteilt. Zwar habe der Geschäftsführer seine Kardinalpflichten verletzt, weil er nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt habe, daraus könne jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass dies wissentlich erfolgt sei. Das OLG Frankfurt a. M. sah dies erneut anders und entschied auf die Berufung des Versicherers zu dessen Gunsten. Wie auch in dem Beschluss vom Januar nahm das OLG Frankfurt a. M. eine wissentliche Pflichtverletzung an, die durch die Verletzung von Kardinalpflichten indiziert sei. Der Vortrag des Insolvenzverwalters sei wiederum nicht geeignet gewesen, die indizielle Wirkung zu entkräften.

Gegen das Urteil wurde Revision beim BGH eingelegt (IV ZR 66/25).

‑- Urteil vom 8. Mai 2025 – 3 U 113/22 (nicht rechtkräftig):

Auch in diesem Fall ging es – soweit vorliegend von Belang – um die Inanspruchnahme einer D&O‑​Versicherung durch einen Insolvenzverwalter. Der Insolvenzverwalter nahm zwei ehemalige Vorstandsmitglieder der Insolvenzschuldnerin auf Ersatz von nach Insolvenzreife geleisteten Zahlungen in Anspruch (§ 92 Abs. 2 AktG a. F., heute: § 15b InsO). Der Versicherer wies eine Einstandspflicht zurück, weswegen die Vorstandsmitglieder und der Insolvenzverwalter im Haftungsverfahren Vergleiche schlossen, die unter anderem die (praxistypische) Abtretung etwaiger Ansprüche aus dem D&O‑​Versicherungsvertrag an den Insolvenzverwalter zum Gegenstand hatten. Der Insolvenzverwalter nahm sodann aus abgetretenem Recht die D&O‑​Versicherung in Anspruch, die eine Einstandspflicht gestützt auf eine mutmaßlich wissentliche Pflichtverletzung ablehnte. Dem folgte das OLG Frankfurt a. M. Aktuell ist das Verfahren beim BGH anhängig (IV ZR 108/25).

II. Darlegungs- und Beweislast für wissentliche Pflichtverletzungen des Versicherungsnehmers

Der Versicherungsschutz von D&O‑​Versicherungen ist regelmäßig – so auch in den vom OLG Frankfurt a. M. zu entscheidenden Fällen – durch Ausschlusstatbestände begrenzt, etwa bei wissentlicher Pflichtverletzung. Eine wissentliche Pflichtverletzung ist anzunehmen, wenn ein Versicherungsnehmer eine Pflicht in dem Bewusstsein um diese Pflicht und in dem Bewusstsein, sich nicht pflichtgemäß zu verhalten, verletzt.

Darlegungs- und beweisbelastet für die Verwirklichung dieser Wissensmerkmale, die zu einem Leistungsausschluss führen, ist grundsätzlich der Versicherer. Das bedeutet, dass der Versicherer jedenfalls einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers hindeutet. Des Weiteren ist es grundsätzlich auch Aufgabe des beweispflichtigen Versicherers, Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können.

Diese weiteren schlüssigen Indizien müssen allerdings dann nicht vom Versicherer vorgetragen werden, wenn es sich bei der vorgetragenen Pflichtverletzung um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann (sog. Kardinalpflichten). Bei solchen Kardinalpflichten wird vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen. Die (objektive) Verletzung einer Kardinalpflicht indiziert den Rückschluss auf das Vorliegen einer (inneren) wissentlichen Pflichtverletzung.

Den Geschäftsleiter trifft in diesem Fall eine sog. “sekundäre Darlegungslast”. Er muss Umstände aufzuzeigen, die gegen einen wissentlichen Pflichtverstoß sprechen, wenn er der Indizwirkung entgegentreten will. Im Ergebnis muss vorgetragen werden, dass der Geschäftsleiter keine Kenntnis hatte, Pflichten zu verletzen.

In den o. g. Entscheidungen des OLG Frankfurt a. M. erachtete das Gericht die Verletzung einer Kardinalpflicht (hier die Verletzung der Insolvenzantragspflicht) letztendlich als ausreichend, um daraus ein wissentliches Handeln abzuleiten, das zu einem Leistungsausschluss des Versicherers führt. Einschränkend wird in den Entscheidungen aus März und Mai 2025 darauf hingewiesen, dass die vorbeschriebene Verschiebung der Beweislastverteilung nicht in Fällen (leichter) Fahrlässigkeit gerechtfertigt sei, wobei in den zu entscheidenden Konstellationen allerdings offenkundige Verstöße angenommen wurden.

III. Kardinalpflichten

Den Entscheidungen des OLG Frankfurt a. M. lassen sich zugleich konkrete Anhaltspunkte entnehmen, welche Kardinalpflichten einen Geschäftsleiter, insbesondere in Krisensituationen, treffen. Die Annahme einer Kardinalpflichtverletzung setzt grundsätzlich voraus, dass die vom Versicherungsnehmer verletzte Rechtsnorm zu den zentralen, fundamentalen Grundregeln einer bestimmten Regelungsmaterie gehört, die zwingend beachten werden müssen.

Dazu zählen insbesondere die Pflicht eines Geschäftsleiters (i) weder sich noch Dritten aus dem Unternehmensvermögen Vorteile zu gewähren, auf die kein Anspruch besteht, (ii) das Unternehmensvermögen nicht für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden und (iii) bei Insolvenzreife rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO).

Das OLG Frankfurt a. M. hebt auch hervor: Die Pflicht zur Insolvenzantragstellung trifft alle Geschäftsführer gleichermaßen – formal, faktisch oder auch nur scheinformal (sog. „Strohmann“) – und gilt unabhängig von der Geschäftserfahrung des Einzelnen.

Zu den Kardinalpflichten eines Geschäftsleiters gehören ferner die Kenntnis der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft sowie die eingehende Prüfung der Insolvenzreife. Auch bei den vielfach wenig geschäftserfahrenen Geschäftsführern von UGs gilt nichts anderes, da der Gläubigerschutz dort als Kompensation der schwachen Eigenkapitalbindung erst recht sehr ernst genommen werden muss. Dass es für einen insolvenzrechtlichen Laien Schwierigkeiten birgt, die Insolvenzreife eines Unternehmens einzuschätzen – so betont das OLG Frankfurt a. M. – befreit ihn nicht davon, sich stets über die wirtschaftliche Lage zu informieren und rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen. Einem Geschäftsleiter, der dies nicht tut, sondern – wie das OLG Frankfurt a. M. plastisch ausführt – „blind in die Krise segelt“, ist die Verletzung einer Kardinalpflicht vorzuwerfen.

IV. Fazit

Die Entscheidungen stehen exemplarisch für eine aktuelle Tendenz in der (obergerichtlichen) Rechtsprechung, D&O‑​Versicherungen im Falle der Verletzung elementarer Organpflichten vom Versicherungsschutz zu entbinden, insbesondere im Bereich der praxisrelevanten Zahlungen nach Insolvenzreife. Die Position von D&O‑​Versicherungsunternehmen bei Pflichtverstößen in der Unternehmenskrise wird zunehmend gestärkt.

Aufgrund der Bedeutung von Kardinalpflichten ist es für Versicherer vergleichsweise einfach, eine wissentliche Pflichtverletzung darzulegen. Dies erhöht die Anforderungen an die Darlegungslast der Geschäftsleiter, die – jedenfalls jenseits der (leichten) Fahrlässigkeit – darzulegen und im Streitfall zu beweisen haben, dass sie ihre Pflichten nicht wissentlich verletzt haben.

Die Entscheidungen stellen klar: Geschäftsführer aber auch andere Organmitglieder können nicht nur zivilrechtlich für Pflichtverstöße haften, sondern verlieren unter bestimmten Voraussetzungen auch den Schutz der D&O‑​Versicherung. Entsprechende Risiken bestehen insbesondere im Bereich der Zahlungspflichten nach Insolvenzreife und dort wiederum in besonderem Maße, wenn die Insolvenzreife mehr als (einfach) fahrlässig verkannt wird.

Es ist daher zu empfehlen die Einhaltung von Kardinalpflichten, insbesondere den Eintritt von Insolvenzgründen sorgfältig zu überwachen, die Überwachung zu dokumentieren und erforderlichenfalls rechtzeitig anwaltlichen Rat einzuholen, um sich nicht dem späteren Vorwurf einer wissentlichen Pflichtverletzung und dem damit etwaig einhergehenden Wegfall eines D&O‑​Schutzes ausgesetzt zu sehen.

Die Entscheidungen des OLG Frankfurt a. M. haben in der Literatur viel Kritik erfahren. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie sich der IV. Zivilsenat des BGH in den anhängigen Verfahren zu den Urteilen vom 5. März 2025 und vom 8. Mai 2025 positionieren wird.

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