Die rasante Ausbreitung von COVID‑19 und die allerorts erlassenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona‑Pandemie stellen Unternehmen vor enorme Herausforderungen.
Kartellbehörden haben bereits auf Erleichterungen bei der Anwendung des Kartellrechts hingewiesen. Das Bundeskartellamt, die EU‑Kommission und die weiteren im Netzwerk der Europäischen Wettbewerbsbehörden (European Competition Network, ECN) zusammengeschlossenen Kartellbehörden haben am 23.3.2020 in einer Gemeinsamen Erklärung zur Anwendung des Wettbewerbsrechts während der Corona‑Krise zugesagt, nicht aktiv gegen eine notwendige und vorübergehende Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern zur Vermeidung eines Versorgungsengpasses während der Covid‑19‑Krise vorzugehen. Gleichzeitig warnen sie vor jeglicher Preistreiberei insbesondere durch Lieferanten von medizinischer Ausrüstung. Sie weisen darauf hin, dass Hersteller Höchstpreise für ihre Produkte festlegen dürfen, um ungerechtfertigte Preiserhöhungen auf der Vertriebsebene zu begrenzen.
Es müssen somit auch in Krisenzeiten kartellrechtliche Vorgaben beachtet werden. Anderenfalls drohen Compliance‑Risiken bis hin zu Bußgeldsanktionen. Für eine Orientierungshilfe stehen sowohl das Bundeskartellamt als auch die EU‑Kommission als Ansprechpartner zur Verfügung. Die EU‑Kommission hat auf ihrer Internetseite darüber hinaus wichtige Informationen und Leitlinien insbesondere zum Thema Kooperationen zusammengestellt. Ferner hat sie ein elektronisches Postfach zur Kontaktaufnahme eingerichtet.
Schutzmaßnahmen und Virus‑Infektionen im Unternehmen können zum Ausfall von wichtigen Teilen der Belegschaft führen. Auch sind Beeinträchtigungen der Produktion möglich, wenn der erforderliche Mindestabstand zwischen den Mitarbeitern nicht gewährleistet ist. Können Aufträge nicht ausgeführt werden, kommen Kooperationen mit Wettbewerbern in Betracht: bei der Entwicklung von Impfstoffen, bei der Versorgung mit Medizinprodukten und Lebensmitteln, aber auch außerhalb der Grundversorgung, z. B. durch Zukauf von Wettbewerbern zum Ausgleich kurzfristiger Produktionsausfälle (Kollegenlieferung).
Das Kartellrecht enthält zahlreiche Ausnahmen und Rechtfertigungsgründe. Nach der Gemeinsame Erklärung der europäischen Kartellbehörden kann eine Zusammenarbeit zur Vermeidung von Versorgungsengpässen während der Covid‑19‑Krise zulässig sein, weil unter besonderer Berücksichtigung der Umstände der Krise es an einer Wettbewerbsbeschränkung fehlt oder Wettbewerbungsbeschränkungen durch Effizienzvorteile ausgeglichen werden.
Von besonderer Bedeutung sind außerdem die EU‑Gruppenfreistellungsverordnungen („GVO“). So kann die Spezialisierungs‑GVO eine Zusammenarbeit im Bereich der Produktion und/oder des Vertriebs erlauben. Auch kann es zulässig sein, sich gegenseitig mit Rohstoffen oder Zulieferteilen auszuhelfen. Die Forschungs- und Entwicklungs‑GVO kann eine gemeinsame Forschungs- und Entwicklungstätigkeit rechtfertigen. Selbst wenn keine GVO einschlägig ist, können eine Kooperation und ein Austausch von Informationen zur Auflösung von Lieferengpässen oder logistischen Herausforderungen unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein.
Zur Vermeidung von Compliance‑Risiken bedarf es der vorherigen kartellrechtlichen Einschätzung und Absicherung. Die Kartellbehörden stehen in diesen Zeiten in besonderer Weise für informelle Abstimmungen zur Verfügung.
In bestimmten Konstellationen kann das Kartellrecht vor exzessiven Preisen oder einer Diskriminierung bzw. Benachteiligung durch Lieferanten schützen. Die Kartellbehörden haben bereits darauf hingewiesen, dass sie gegen Preismissbräuche in der Corona‑Krise aktiv vorgehen werden. Dies kann etwa den Verkauf von Schutzmasken, Desinfektionsmitteln oder auch Konsumgütern für den täglichen Grundbedarf betreffen. Auch unabhängig von einer Krisensituation gilt dies, wenn der Lieferant eine marktbeherrschende Stellung innehat (ggf. auch gemeinsam mit anderen Lieferanten) oder eine besondere Abhängigkeit besteht. Weitere Voraussetzung ist, dass sich das Verhalten als missbräuchlich darstellt, was im Zusammenhang mit der Corona‑Krise zu beantworten ist. Die bestehenden kartellrechtlichen Ansprüche können erforderlichenfalls auch gerichtlich im Eilverfahren durchgesetzt werden.
Aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in verschiedenen Sektoren ist damit zu rechnen, dass es verstärkt zu Sanierungsfusionen und Anträgen auf die Erlaubnis durch den Bundeswirtschaftsminister zu einem vom Bundeskartellamt untersagten Zusammenschluss (sog. Ministererlaubnis) kommt. Bei M&A‑Transaktionen ist zu berücksichtigen, dass auch die Kartellbehörden ihre Handlungsfähigkeit derzeit nur mit Mühe aufrechterhalten können. Es bedarf daher gerade jetzt einer vorausschauenden Transaktionsplanung. Während das Bundeskartellamt in einer Pressemitteilung von einer uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit ausgeht und die Erreichbarkeit der einzelnen Beschlussabteilungen durch zusätzliche E‑Mail‑Postfächer gesichert hat, wurde für die EU‑Kommission von anfänglichen Beeinträchtigungen berichtet. Inzwischen sind Anmeldungen bei der EU‑Kommission übergangsweise auch in rein digitaler Form möglich. Beide Behörden rufen dazu auf, geplante Vorhaben nach Möglichkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt anzumelden. In jedem Fall empfiehlt sich, frühzeitig mit den Kartellbehörden Kontakt aufzunehmen.
Die Gemeinsame Erklärung des ECN gilt für den gesamten EWR, also auch für Norwegen, Island und Liechtenstein. Es ist damit zu rechnen, dass in einzelnen Ländern auch kartellrechtliche Ausnahmeregeln für bestimmte Sektoren in Kraft treten werden.
Die britische Kartellbehörde hat angekündigt, nicht gegen Unternehmen vorzugehen, die zur Bewältigung der Herausforderungen der Covid‑19‑Krise kooperieren. Zuvor hatte die britische Regierung bekannt gegeben, dass Lebensmittelhändler unter diesen besonderen Umständen Informationen über Lagerbestände austauschen und bei Transport- und Lagerkapazitäten zusammenarbeiten dürfen. Dadurch sollen die Geschäfte offengehalten und die Belieferungen sichergestellt werden. Auch Personal soll zur Überbrückung von Engpässen ausgetauscht werden können. Zugleich wurde jedoch eine Task Force eingesetzt, die gegen exzessive Preiserhöhungen und andere Formen missbräuchlicher Verhaltensweisen vorgehen soll. Um den Unternehmen mehr Rechtssicherheit und Klarheit zu geben, hat die britische Kartellbehörde zu diesem Thema am 25.3.2020 einen neuen Leitfaden, wie sie sich zu Unternehmenskooperationen positionieren wird, veröffentlicht.
In den USA hat das Department of Justice (DOJ) ein konsequentes Vorgehen gegen kartellrechtswidrige Verhaltensweisen der Hersteller und Lieferanten von Medizinprodukten (Gesichtsmasken, Beatmungsgeräte etc.) angekündigt. Sowohl das DOJ als auch die Federal Trade Commission (FTC) stehen für Fragen im Zusammenhang mit COVID‑19 kurzfristig zur Verfügung. Im Einzelfall notwendige Kooperationen etwa bei Versorgungsengpässen werden grundsätzlich als zulässig angesehen. Die FTC akzeptiert ebenso wie die EU‑Kommission übergangsweise elektronische Fusionskontrollanmeldungen.
Für die chinesische Kartellbehörde wird im Zusammenhang mit der einsetzenden Aufhebung der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID‑19 von einem Leitfaden für Unternehmen zur Vermeidung von kartellrechtlichen Fallstricken bei der Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes berichtet.
Schließlich gab auch das International Competition Network (ICN), in dem weltweit 140 Kartellbehörden zusammengeschlossen sind, am 8.4.2020 eine Erklärung ab, die sich mit der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts während und nach der COVID‑19‑Pandemie befasst. Es bekräftigt darin die Bedeutung des Wettbewerbsprinzips und fordert die Mitgliedsbehörden auf, gegenüber wettbewerbswidrigem Verhalten wachsam zu bleiben. Das ICN wird sich weiterhin für eine Zusammenarbeit der Behörden während der Corona‑Krise einsetzen.
Dr Andreas Rosenfeld
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Dr Sebastian Steinbarth, LL.M.
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Liza Schäfer
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Dr Friederike Dorn
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Anja Hämmerl
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