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Mitgliederversammlung 2.0

Am 08. Februar 2023 hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzesentwurf zur Ermöglichung digitaler Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht beraten. Bereits am 09.02.2023 folgte die zweite und dritte Lesung des überarbeiteten Gesetzesentwurfs (Entwurf eines Gesetzes zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht) im Bundestag und die Annahme des überarbeiteten Gesetzesentwurfes. Die Neuregelung soll so schnell wie möglich, nämlich am Tag nach der Verkündung, in Kraft treten. Die Durchführung hybrider und virtueller Mitgliederversammlung wird damit eine dauerhafte gesetzliche Regelung erfahren.

I. Entwicklung im Überblick

In Reaktion auf die Corona‑​Pandemie hatte der Gesetzgeber mit § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG eine vorübergehende Rechtsgrundlage geschaffen, nach der es den Vereinsmitgliedern ohne Ermächtigung in der Satzung ermöglicht wurde,

  • an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben, oder
  • ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abzugeben.

Von der Ermächtigung in § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG erfasst waren neben virtuellen auch hybride Mitgliederversammlungen. Während in einer virtuellen Versammlung sämtliche Vereinsmitglieder zumeist durch eine Videokonferenz an der Versammlung teilnehmen, kommen bei einer hybriden Versammlung ein Teil der Mitglieder oder des Vorstands an einem bestimmten Ort physisch zusammen, während andere Mitglieder an der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation virtuell teilnehmen.

Nachdem die befristete Geltungsdauer zwischenzeitlich verlängert worden war, endete die Geltung der Norm schließlich mit Ablauf des 31.08.2022. Den Vereinen war es jedoch unbenommen, eine § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG ganz oder teilweise entsprechende Regelung in die Vereinssatzung aufzunehmen und die virtuelle oder hybride Mitgliederversammlung der Präsenzversammlung gleichzustellen. Von dieser Möglichkeit haben seitdem viele Vereine Gebrauch gemacht.

II. Regelungsgegenstand von § 32 Abs. 2 BGB n. F.

Nach überwiegender Ansicht ist die Durchführung einer virtuellen oder hybriden Mitgliederversammlung nach der bislang gültigen Fassung von § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB nur möglich, wenn die Satzung des Vereins dies ausdrücklich zulässt oder sämtliche Mitglieder ausdrücklich zustimmen. Durch eine Neufassung von § 32 Abs. 2 Satz 1 BGB‑​neu soll die Beschlussfassung in hybriden und virtuellen Mitgliederversammlungen in Anlehnung an § 5 Abs. 2 Nr. 1 GesRuaCOVBekG künftig eine gesetzliche Grundlage im Vereinsrecht finden:

"(2) Bei der Berufung der Versammlung kann vorgesehen werden, dass Mitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können (hybride Versammlung). Die Mitglieder können beschließen, dass künftige Versammlungen auch als virtuelle Versammlungen einberufen werden können, an der Mitglieder ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation teilnehmen und ihre anderen Mitgliederrechte ausüben müssen. Wird eine hybride oder virtuelle Versammlung einberufen, so muss bei der Berufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.”

Der bisherige Absatz 2 wird künftig als § 32 Abs. 3 BGB‑​neu fortbestehen.

III. Wesentlicher Inhalt der Neuregelung

Im Folgenden wird der wesentliche Inhalt der Neuregelung sowie die Entwicklung der beschlossenen Neuregelung im Vergleich zum Gesetzesentwurf des Bundesrates dargestellt.

1. Keine Beschränkung auf Videokonferenztechnik

Nach dem vom Bundesrat eingebrachten Gesetzesentwurf war es durch die Einfügung von § 32 Abs. 1a BGB‑​Entwurf lediglich vorgesehen, den Mitgliedern neben einer physischen Teilnahme auch eine (virtuelle) Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung zu ermöglichen (hybride Mitgliederversammlung). Dem Vorstand sollte es auf der Grundlage dieses Entwurfs nicht möglich sein, Mitgliederversammlungen vollständig im Wege der Videokonferenztechnik durchzuführen (virtuelle Mitgliederversammlung), sofern sich hiermit nicht alle Mitglieder ausdrücklich einverstanden erklären. In technischer Hinsicht war die Durchführung einer hybriden Mitgliederversammlung auf die “Videokonferenztechnik” beschränkt.

Bereits in der Stellungnahme der Bundesregierung wurde diese Beschränkung kritisiert und eine virtuelle Teilnahme im Wege elektronischer Kommunikation vorgeschlagen. Dieser Ansicht hat sich der Rechtsausschuss angeschlossen und darauf verwiesen, dass wie in dem außer Kraft getretenen § 5 Abs. 2 GesRuaCOVBekG die Ausübung der Mitgliederrechte nicht nur durch Bild- und Tonübertragung (“Videokonferenztechnik”), sondern auch im Wege jedweder geeigneten elektronischen Kommunikation, z. B. Telefonkonferenzen, Meinungsaustausch per Internetdialog (“Chat”), Abstimmung per E‑​Mail, zugelassen sein soll. Auf diese Weise sollen Vereine die virtuelle Teilnahme und Ausübung anderer Mitgliederrechte in der Mitgliederversammlung so organisieren können, wie es für den Verein am besten geeignet ist.

2. Geltung für Vereins- und Stiftungsvorstände

Die im Vergleich zum Entwurf des Bundesrats in § 32 Abs. 2 Satz 1 BGB‑​neu vorgesehene Erweiterung wurde auch deshalb für sinnvoll erachtet, weil die Neuregelung nicht nur für Mitgliederversammlungen von Vereinen, sondern im Wege der Verweisung durch § 26 BGB bzw. § 86 Satz 1 BGB in der derzeit (noch) gültigen Fassung auch für Sitzungen von mehrköpfigen Vereinsvorständen und Stiftungsvorständen entsprechend anzuwenden ist. Für diese Sitzungen wird durch § 32 Abs. 2 Satz 1 BGB‑​neu die ebenfalls notwendige Flexibilität für die virtuelle Teilnahme an Vorstandssitzungen gewährleistet. Für weitere Organe der Stiftung, wie etwa einem Stiftungsrat, gibt es keine ausdrückliche Regelung.

3. Hybride und virtuelle Mitgliederversammlung

Der Entwurf des Bundesrats hat sich lediglich zu der hybriden Mitgliederversammlung verhalten. Im Gegensatz dazu soll durch die Einfügung von § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB‑​neu die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Mitglieder das Einberufungsorgan auch zur Einberufung rein virtueller Versammlung ermächtigen können, auch wenn die Satzung die Abhaltung virtueller Mitgliederversammlungen nicht vorsieht. Da im Falle der Durchführung einer rein virtuellen Mitgliederversammlung eine Teilnahme an der Versammlung in Präsenz für die Mitglieder ausgeschlossen ist, soll über die Möglichkeit der Durchführung von rein virtuellen Versammlungen nicht das Einberufungsorgan allein entscheiden können. Vielmehr wurde dazu die Ermächtigung durch die Mitglieder für erforderlich erachtet.

Für die Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung ist nach § 32 Abs. 2 Satz 2 BGB‑​neu gemäß § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB‑​neu in Ermangelung abweichender Satzungsregelungen die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Durch das Wort “künftige” Versammlungen sollte klargestellt werden, dass eine Ermächtigung nach § 32 Abs. 2 Satz 1 BGB‑​neu nur für zukünftig stattfindende Versammlungen getroffen werden darf, nicht hingegen für die Versammlung, in der der Beschluss gefasst wird. Außerdem soll das Einberufungsorgan von den Mitgliedern nur dazu ermächtigt werden einzelne Versammlungen als virtuelle Versammlungen einzuberufen. Die Ermächtigung zu virtuellen Mitgliederversammlungen soll durch Beschluss auch wieder zurückgenommen werden können und ebenso die Ermächtigung des Einberufungsorgans möglich sein, alle künftigen Versammlungen ggf. als virtuelle Versammlungen einzuberufen.

4. Information der Mitglieder

Durch die Einfügung von § 32 Abs. 2 Satz 3 BGB‑​neu soll sichergestellt werden, dass die Vereinsmitglieder und Vorstandsmitglieder rechtzeitig darüber informiert werden, durch welche konkreten Mittel der elektronischen Kommunikation bei einer hybriden oder virtuellen Mitgliederversammlung eine Teilnahme möglich ist.

Auf diese Weise wird es den Mitgliedern ermöglicht, rechtzeitig vor der Versammlung zu überprüfen, ob sie die technischen Voraussetzungen für die Nutzung der in der Einladung zur Versammlung benannten elektronischen Kommunikationsmittel erfüllen oder noch weitere Vorkehrungen treffen müssen, um ihre Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben zu können. Keine Aussage trifft der Gesetzgeber erwartungsgemäß zu der Frage, wer die Verantwortung für die Bereitstellung der technischen Voraussetzungen für eine Teilnahme trifft.

5. Satzungsdisposivität

Bereits nach dem bislang geltenden Recht konnten Vereine aufgrund von Satzungsregelungen vorsehen, dass die Mitglieder ohne Anwesenheit am Versammlungsort nur im Wege der elektronischen Kommunikation an der Mitgliederversammlung teilnehmen und ihre Rechte ausüben können. Auch § 32 Abs. 2 BGB‑​neu ist dispositiv ausgestaltet, so dass die Satzung des jeweiligen Vereins hiervon abweichen kann. Dies bedeutet, dass Vereine die Voraussetzungen für die Teilnahme an hybriden oder virtuellen Mitgliederversammlungen von § 32 Abs. 2 BGB‑​neu regeln und auch hybride oder virtuelle Mitgliederversammlungen ausschließen können.

IV. Gestaltungsmöglichkeiten und ‑erfordernisse

Die wesentliche Folge der Neuregelung besteht darin, dass Vereine hybride und virtuelle Mitgliederversammlungen durchführen können, ohne hierfür ihre Satzung entsprechend ändern zu müssen. Entsprechendes gilt für die Sitzungen mehrköpfiger Vereins- und Stiftungsvorstände.

1. Existierende Satzungsregelungen als dispositives Satzungsrecht?

Eine Vielzahl von Vereinen hat in der Zwischenzeit bereits Regelungen über die Durchführung von hybriden oder virtuellen Mitgliederversammlungen in die Satzungen aufgenommen. Sofern diese Regelungen § 32 Abs. 2 BGB‑​neu nicht entsprechen, weil diese beispielsweise keine Information über die konkreten Mittel der elektronischen Kommunikation vorsehen, handelt es sich um eine Abweichung, die aufgrund der Satzungsdispositivität grundsätzlich zulässig ist. Vereine sollten ihre Satzungsregelungen zur Durchführung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen vor diesem Hintergrund dennoch kritisch überprüfen, um sicherzustellen, dass es sich um bewusste Abweichungen handelt.

2. Versammlungsbezogene Mitgliedschaftsrechte

Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde betont, dass eine Neuregelung zu einer Stärkung der Mitgliedschaftsrechte führen soll, da Mitglieder an Versammlungen teilnehmen können, denen das Aufsuchen des Versammlungsorts z. B. wegen langer Anreise oder aus terminlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht oder nur schwer möglich ist. Im Fall einer hybriden Mitgliederversammlung steht dem einzelnen Mitglied die Art der Teilnahme frei.

Abgesehen davon, dass den Mitgliedern nach § 32 Abs. 2 Satz 3 BGB‑​neu mitzuteilen ist, wie sie ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation im Fall einer virtuellen oder hybriden Mitgliederversammlung ausüben können, enthält die Neuregelung jedoch keinerlei ausdrückliche Vorgaben für die Rechtsübung. Im Gesetzgebungsverfahren wurde zwischenzeitlich lediglich geäußert, dass Ort und Zeit für die Versammlung grundsätzlich so gewählt werden müssen, dass eine Teilnahme an der Versammlung für die Mitglieder zumutbar ist.

Auch wenn der Rechtsausschuss einen Meinungsaustausch im Wege der elektronischen Kommunikation per Internetdialog (“Chat”) für grundsätzlich möglich erachtet, muss im Einzelfall doch kritisch hinterfragt werden, ob dies zur Wahrung der versammlungsbezogenen Mitgliedschaftsrechte, wie dem Rede‑, Frage- und Auskunftsrecht, tatsächlich ausreichend ist. Als Grundsatz wird man auch unter Berücksichtigung der Neuregelung weiterhin festhalten müssen, dass die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte umso effektiver ist, je stärker die virtuelle oder hybride Teilnahme an der Mitgliederversammlung der Teilnahme an einer Präsenzversammlung angeglichen wird. Tatsächlich können die Rechte des Mitglieds bereits aufgrund der verschiedenen Teilnahmemodalitäten im Rahmen einer hybriden Mitgliederversammlung faktisch in unterschiedlich starker Weise zur Geltung gelangen.

Auch wenn es sich insoweit nicht um ein Teilnahmerecht handelt, ist doch klar, dass einem virtuell teilnehmenden Mitglied eine Einflussnahme auf die Dynamik einer Mitgliederversammlung, etwa durch spontane Zwischenrufe als Reaktion auf einen Redebeitrag, nicht in gleicher Weise möglich ist, wie dem in Präsenz teilnehmenden Mitglied. Kann mit einer virtuellen Teilnahme an einer Mitgliederversammlung auch nicht die Erwartung verbunden sein, in einer Weise auf die Dynamik einer Mitgliederversammlung Einfluss nehmen zu können, die einer Teilnahme in Präsenz vollkommen gleichsteht, ist es eine gänzlich andere Frage, ob virtuell Teilnehmende als Preis dieses Privilegs von vornherein mit der Beschränkung versammlungsbezogener Rechte rechnen müssen, wie dies teilweise befürwortet wird.

Bevor Vereine auf der Grundlage von § 32 Abs. 2 BGB‑​neu hybride oder virtuelle Mitgliederversammlungen durchführen, ist es deshalb erforderlich, eine effektive Ausübung versammlungsbezogener Mitgliedschaftsrechte zu gewährleisten. Andernfalls droht eine unzulässige Beschränkung der versammlungsbezogenen Mitgliedschaftsrechte, die eine Beschlussmängelklage sowie die grundsätzliche Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse zur Folge haben können.

3. Leitfäden

Um die Rechtssicherheit bei der Durchführung hybrider sowie virtueller Mitgliederversammlungen zu erhöhen, hat sich die Konzeption von Leitfäden bewährt, die sowohl dem Einberufungsorgan als auch dem/​der Versammlungsleiter/​in als Handlungsanweisung dienen können. In derartigen Leitfäden können sowohl die Voraussetzungen für die Einberufung der Mitgliederversammlung als hybride oder virtuelle Versammlung bestimmt als auch die technische Durchführung geregelt werden. Im Rahmen der technischen Durchführung ist ein besonderes Augenmerk auf die effektive Ausübung der versammlungsbezogenen Mitgliedschaftsrechte zu legen.

V. Ausblick

Durch die Neufassung von § 32 Abs. 2 BGB‑​neu findet die in der Praxis längst in den Satzungen zahlreicher Vereine vorgesehene Möglichkeit der Durchführung hybrider und/​oder virtueller Mitgliederversammlungen einen klaren gesetzlichen Anknüpfungspunkt. Die wesentliche Frage, nämlich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ausübung versammlungsbezogener Mitgliedschaftsrechte, hat indessen keine gesetzliche Regelung erfahren. Es bleibt abzuwarten, ob die Anzahl von Beschlussmängelklagen in Zukunft zunehmen und es vermehrt zu Rechtsstreitigkeiten wegen vermeintlicher Verletzungen der versammlungsbezogenen Mitgliedschaftsrechte kommen wird.

Hinweis:
Zu der ab dem 01.07.2023 in Kraft tretenden Reform des Stiftungszivilrechts (§§ 80 ff. BGB‑​neu) berichten wir fortlaufend in unseren Corporate‑​Newsletter sowie Private Clients‑​Newsletter (hier).

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